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Das Ritual

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Das Ritual Empty Das Ritual

Beitrag von SandyLee Di Jan 26, 2021 1:51 pm

Dienstag 5. Juli 2011, 12:28
von Afra
Tharareb Tharhat


Afra erwachte mitten in der Nacht. Wie es ihre Angewohnheit war hielt sie die Augen geschlossen und nichts deutete darauf hin, dass sie angespannt und hochkonzentriert auf ihrem Lager lag. Irgendetwas hatte ihren Schlaf unterbrochen. Afra war alleine. Janina, ihr Mündel war bei den Amazonen und schlief im Lager der Kriegerin des Feuers.
Sie lauschte angestrengt in die Nacht aber da war kein Laut der verdächtig war. In der Ferne hörte man die Rufe eines Uhus und sonst waren nur die üblichen Geräusche zu hören. Der Wind fächelte sanft durch die Bäume. Es war ein sanftes, gleichmäßiges Rauschen. Unschlüssig blieb sie einfach liegen und wartete, jederzeit bereit sofort zu reagieren.
„Ich weiß, dass du wach bist Afra.“
Afra erkannte die Stimme von Kamaria und richtete sich auf. Nur wenige Schritte von ihrem Nachtlager saß die Alte mit ineinander verschlungenen Beinen auf dem Boden und schaute stumm auf Afra. Auch Afra blieb stumm und beide suchten jeweils in den Augen der anderen zu lesen. Afra spürte, dass etwas Ungutes auf sie wartete aber sie blieb äußerlich völlig ruhig. Nur wer genau hinschaute konnte das leichte Zittern ihrer Unterlippe erkennen. Nach einer Weile setzte sich Afra in gleicher Weise auf den Boden. Die Knie der beiden Frauen berührten sich und Afra überragte Kamaria an Körpergröße. Das ungleiche Paar blieb minutenlang stumm.
„Ich bin da um dich abzuholen,“ unterbrach die Alte die Stille unvermittelt und forschte im Gesicht der Jägerin.
In Afra verkrampfte sich alles. Sie hatte das Gefühl als würde sich eine riesen Faust um ihr Herz legen um es auszuquetschen. In ihrem Kopf rasten die Gedanken und die Bilder überschlugen sich. Wie oft hatte sie sich gewünscht „abgeholt“ zu werden. Eigene Versuche aus diesem Leben zu scheiden waren nicht erfolgreich. In den frühen Jahren in denen sie einsam und ohne menschliche Nähe hier in den Wäldern verbracht hatte haben sie verzweifeln lassen. Später als die Amazonen in das Land kamen hatte sie neue Kraft und Spaß gefunden und diesen Gedanken immer verdrängt. Nur hin und wieder, wenn sie glaubte die Last der Verantwortung nicht mehr tragen zu können hatte sie Kamaria gegenüber diesen Wunsch geäußert. Immer wieder wurde sie vertröstet, dass ihre Zeit noch nicht gekommen sei. Und jetzt, ohne eine Vorwarnung, mitten in der Nacht wollte Kamaria sie abholen. Afra dachte an Janina. Die Kleine vertraute ihr und Afra hatte für ihre Zukunft sorgen wollen. Die Gesichter all der liebgewonnen Amazonen zogen an ihrem geistigen Auge vorbei. Sie sollte keine Zeit haben sich von all ihren Freunden zu verabschieden. Die Welt um sie herum begann undeutlich zu werden. Ihre Augen wurden wässrig und zum ersten Mal hätte ein Zeuge diese große Frau mit Tränen in den Augen gesehen.
Verstohlen wischte sie sich durch die Augen und wartete stumm auf das was da kommen sollte.
„Du dummes Ding,“ sagte Kamaria leise, „nichts von dem, was du gerade denkst.“
Afra begriff in diesem Moment, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie hatte vergessen, dass Kamaria ja längst nicht mehr war und schon vor einer Ewigkeit in das Reich der Schatten gewechselt war. Sie gehörte wie Drough ihr Bruder zu den Gedankensammler und es war ein leichtes für sie zu erkennen was gerade in Afra vorging.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Afra noch kein einziges Wort gesagt. Jetzt aber erwachte langsam wieder ihr Kämpferherz und Widerstand regte sich in ihr als sie Kamaria mit durchdringendem Blick in die Augen sah.
„Was willst du von mir und wohin willst du mich bringen? Du warst zu mir wie eine Mutter und Freundin warum sprichst du plötzlich in Rätseln zu mir?
Ein Lächeln zog sich um den Mund der alten Frau und ihre Stimme bekam einen seltsamen Klang als sie antwortete:
„Das Tharhat wartet auf dich.“
Afra zuckte zusammen und schnellte reflexartig in die Höhe. Noch in der gleichen Sekunde wurde ihr ihre Reaktion bewusst und sie riss sich wieder zusammen. Afra zwang sich ruhig zu bleiben und setzte sich wieder auf den Boden.
„Das Tharhat?“ stammelte sie fassungslos.
Wieder überschlugen sich ihre Gedanken. Das Tharhat war ein Kriegerritual mit oft tödlichem Ausgang. Von 10 Auserwählten sollen höchstens zwei Krieger das Ritual überlebt haben. Afra selbst hatte nie Gelegenheit diese Hohe Weihe einer Kriegerin mit zu erleben. Ihr Volk wurde ausgelöscht als sie noch ein Kind war. Es gab keine Krieger mehr die sich dem Tharhat stellen konnten. Das Ritual kannte sie nur aus Erzählungen und oben im Hort der Götter da gab es ein Pergament mit einer langen Liste von heiligen Kriegern die das Tharhat nicht überlebt haben. Tharareb Tharhat, die Gotteskrieger, gefürchtet und verehrt. Sie waren das Perfekteste was man sich als Krieger vorstellen konnte und nur sie durften die Könige schützen. Solange auch nur ein Funken Leben in ihnen war erledigten sie ihren Gottesauftrag.
„Ich…,“stotterte Afra, „Ich hatte keine Ahnung, dass dieses Ritual noch existiert. Was gäbe es zu schützen, mein Volk gibt es nicht mehr.“
Kamaria lächelte nachsichtig.
„Du denkst immer noch wie das Kind, das ich einmal im Wald zurückgelassen habe. Könige kommen und gehen. Völker verschwinden und neue Völker tauchen auf. Was heute gut ist wird morgen schlecht sein und nur Krieger wie die Tharareb Tharhat werden dafür sorgen, dass die Staaten nicht aus den Fugen geraten und dass die Moral die uns von den Göttern gegeben ist auch morgen noch ihre Gültigkeit haben wird.“
Kamaria machte eine bedeutungsvolle Pause und fügte dann leise hinzu: „Ich kann mir eine Gotteskriegerin Afra sehr gut vorstellen.“
Afra dachte angestrengt nach. Jetzt wo sie wusste um was es ging war sie wesentlich ruhiger. In ihrem Leben hatte sie gelernt sich jeder Situation zu stellen. Nach einer Weile sagte sie lächelnd:
„Kannst du dir vorstellen, dass mich jemand verehrt?“
Kamaria zog die Augenbrauen nach oben: „Geht es dir um Verehrung?“
Afra schüttelte den Kopf: „Nein!“
„Siehst du, die Stärke einer Tharareb Tharhat definiert sich nicht nach der Anerkennung die eine Kriegerin erfährt. Du selbst aber wirst eine Veränderung erfahren. Das Ritual ist nicht deshalb so tödlich weil du im Kampf erprobt wirst. Du bist für mich schon jetzt die perfekte Killerin. Du wirst dieses Ritual nur überleben wenn du es schaffst deine Sinne zu beherrschen und deine Gefühle zu kontrollieren.“
Kamaria klopfte Afra aufmunternd auf die Knie und lächelte sie an.
„Ach ja, fast hätte ich es vergessen. Der eigentliche Grund warum du dieses Ritual durchlaufen darfst ist die Tatsache dass Afra seit ein paar Tagen eine erwachsene Frau ist.“
Afra riss die Augen auf: „wa.. was bin ich?“
„Du bist erwachsen. Den genauen Tag deiner Geburt weiß ich nicht mit Gewissheit aber du bist in diesem Monat geboren. Nach der Zeitrechnung der Amazonen hast du jetzt 400 Jahre hinter dir. Jetzt liegt es an dir ob du für Nachwuchs sorgst und deinem Volk wieder einen Anfang gibst. Ich gratuliere dir aber feiern darfst du erst später.“
„400 Jahre sind für meine Freunde, die Amazonen eine sehr lange Zeit. Ich habe viele kommen und gehen gesehen und ich konnte mir nie erklären warum das bei mir anders ist.“
Als Kamaria darauf nicht einging fragte Afra unvermittelt nach: „Bin ich ein Mensch?“
Die alte Frau erhob sich und blickte nach oben in Afras Gesicht.
„Du bist hier geboren wie schon viele Generationen der Tharareb vor dir. Du bist ein Erdenkind, also bist du ein Mensch und du bist sterblich. Die Sage erzählt, dass vor undenklich langer Zeit ein Volk aus dem Himmel kam und sich hier niederlies. Da wo sie herkamen war alles größer und schwerer und langsamer. Daher waren die Tharareb sehr viel stärker als die Menschen die schon immer hier gelebt haben. Mit der Zeit haben sich die Tharareb angepasst. Du bist bei weitem nicht mehr so stark wie deine Vorfahren aber immer noch hast du Kräfte die die Kräfte deiner Freunde bei weitem übersteigt. Vielleicht ist das auch eine Erklärung für dein relativ langes Leben. Ja du bist ein Mensch … mit ein paar Besonderheiten vielleicht aber genau so verwundbar und sterblich wie alle anderen.“
Kamaria fasste Afra an den Händen und zog sie mit sich aus dem Lager. Die große kräftige Frau ließ sich führen wie ein Kind und folgte der Alten. Wortlos wanderten sie durch die Finsternis und Afra bewunderte insgeheim die Kondition der alten Frau. Sie legte ein ordentliches Tempo vor. Erst als sie nach ein paar Stunden die Felsen an der Pferdeweide erreicht hatten legte Kamaria eine Pause ein.
„Wir sind da. Leg alle deine Kleidung ab, behalte nur dein Messer und folge mir.“
Afra hatte gar keine Zeit verwirrt zu sein. Kamaria hatte in einer bestimmenden Tonlage gesprochen die keinen Widerspruch duldete. Afra schaute sich um und versuchte zu erkennen was hier war und wieso sie schon am Ziel angekommen sein soll. Aber da war weit und breit nichts zu erkennen. Während sie umständlich und langsam ihre Kleidung ablegt drehte sie sich immer wieder suchend im Kreis. Sie war jetzt nackt und mit eiserner Faust hielt sie ihr Messer in der Hand.
Kamaria bemerkte die Unsicherheit.
„Du brauchst nicht zu suchen, du wirst es auch nicht finden. Niemand kennt diesen Ort.“
Die alte Frau nahm Afra an der Hand und zog sie in eine enge Felsspalte. Afra musste oft die Luft anhalten um überhaupt durch die engen Spalten zu kommen. Manchmal schrammte sie nur seitwärts zwischen steil aufragenden Felswänden immer tiefer in den Berg. Plötzlich öffnete sich vor ihnen der Weg und gab den Blick frei auf eine Art Höhleneingang. Eine eiserne Pforte verschloss den Eingang. Ein blaues Licht leuchtete links und rechts vom Tor und tauchte den ganze Ort in eine seltsame Stimmung. Afras Atem ging schneller als Kamaria auf das Tor zuging und die Portale aufzog. Afra war stehen geblieben und schaute sich neugierig um. Der sanfte Wind der um ihre nackte Haut strich ließ sie leicht frösteln. Sie sah nicht wie Kamaria ihr energisch zuwinkte und erst als sie hörte wie die Alte rief setzte sie sich zögerlich in Bewegung.
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Beitrag von SandyLee Di Jan 26, 2021 1:51 pm

Dienstag 5. Juli 2011, 15:58
von Afra
Spiegel der Vergangenheit


Mit einem lauten Knall fiel hinter Afra die Türe zu. Im gleichen Augenblickt entzündeten sich überall kleine blaue und rote Lichter und tauchten eine große Halle in ein unwirkliches Licht. Das Leuchten wurde immer stärker und so langsam konnte man die Ausmaße eines riesigen Gewölbes erkennen. Die Wände bestanden aus harten Fels und überall waren schmale Nischen in der Felswand. Es sah aus als wären es lauter Aufbewahrungsfächer die irgendwer einmal in den Fels gehauen hatte. Vor jedem dieser Fächer war eine Tür aus Glas. Die Halle war riesig und wurde an den Seiten gestützt von gewaltigen Säulen die oben an der Decke zu stützenden Rundbögen zusammen liefen. Afra zählte etwa 25 Säulen an jeder Seite in der Länge und sie schätzte, dass der Abstand zwischen den Säulen etwa 20 Schritte groß war. Es war kühl ohne dass man einen Luftzug verspürte und Afra rieb sich die Arme um etwas Wärme zu bekommen. Sie drehte sich im Kreis und bestaunte die prachtvollen Gemälde an der Decke. Zuletzt blieb ihr Blick an dem Portal hängen das hinter ihr zugefallen war.
Kamaria stand abwartend neben ihr und ließ ihr Zeit. Als sie den fragenden Blick auf das Tor bemerkte sagte sie nur: „Diese Türe wird sich für dich nie mehr öffnen.“
Afra ging gar nicht darauf ein sondern flüsterte nur ehrfurchtsvoll:
„Wo sind wir hier?“
„Wir sind im Berg, weit über uns an der Erdoberfläche befindet sich die Berghöhle der Wilden.“
„Heiliger Schamanenfurz,“ entfuhr es Afra, „und was ist das hier?
„Wir sind in der Ruhmeshalle. Hier ruhen alle großen Krieger die das Tharhat nicht überlebt haben.“ Kamaria ließ ihre Worte auf Afra wirken.
„Du darfst sie dir anschauen, ihre Körper sind gut erhalten. Eine alte Kunst, die Mumifizierung.“
Afra schluckte ein paar Mal trocken. So leicht war sie nicht aus der Fassung zu bringen aber die Tatsache, dass sie hier zum ersten Mal eine Angehörige ihres Volkes zu sehen bekam ließ ein beklemmendes Gefühl in ihr aufkommen. Vorsichtig, mit zögerlichen Schritten näherte sie sich der einen Wand und trat ganz an an eine der Nischen heran. Sie schaute durch die Glastüre und machte einen erschrocken Satz zurück. Noch einmal trat sie näher und betrachtete sich die Frau die da lag genau. Es war eine große und sehr kräftige Frau mit einem sehr schönen Gesicht. Die Frau lag da als würde sie schlafen und jeden Moment aufwachen. Auffällig waren die langen dichten Haare die jetzt etwas kraftlos an der Seite lagen und bis zu den Fußknöchel reichten. Man konnte aber noch deutlich erkennen dass die Haare genau so geflochten waren wie Afras Haare. Die Haare waren aber das einzige was dort leblos wirkte. Der ganze Körper sah erstaunlich frisch aus. In den gefalteten Händen hielt die Frau eine Tafel. „Mhera Thokath“ konnte Afra lesen. Sie wiederholte leise und andächtig den Namen auf der Tafel.
„Das war ihr Name,“ hörte sie hinter sich Kamarias Erklärung. „Mhera war eine große Kriegerin.“
Afra ging zur nächsten Nische. Das gleiche Bild und wieder eine Tafel mit einem Namen. Aufgeregt lief sie auf die gegenüberliegende Seite und schaut dort in jede Nische der Reihe. Bei der vorletzten Nische aber krampfte sich alles in ihr zusammen. Da lag eine Frau die aussah wie sie selbst. Afra drehte sich schnell weg und traute sich lange nicht mehr hinzuschauen. Kamaria kam zu ihr an die Seite.
„Schau sie dir ruhig an, sie sieht aus wie du, es ist deine Schwester.“
Afras Herz pochte heftig und die Schlagadern am Hals und den Schläfen pulsierten und drohten jeden Moment zu zerreißen. Zögerlich drehte sich Afra um und betrachtete die Frau sehr lange. „Thora Metabeth“, stand auf der Tafel. Afra konnte sich nicht mehr beherrschen, sie brach in ein Schluchzen aus und ging vor der Nische ihrer Schwester in die Knie. Sie schlug mit dem Kopf gegen die Glastüre.
„Warum hast du mir das angetan,“ schrie sie Kamaria an, „warum?“
„Ich habe eine Schwester, so nahe bei mir und ich habe nichts gewusst. All die Jahre habe ich nichts davon gewusst.“
Immer wieder schlug Afra voller Verzweiflung ihren Kopf gegen die Türe. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfuhr sie etwas von ihrer Familie. Zum ersten Mal hatte sie eine Vergangenheit. Kamaria sagte nichts und drängte auch nicht. Zeit spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie wartete geduldig bis Afra einigermaßen ruhig war und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Afra wischte sich die Tränen aus den Augen und stand langsam auf. Anklagend schaute sie die Alte an. „Warum?“ fragte sie noch einmal.
„Was hätte ich tun sollen? Hättest du all die Jahre ruhig gewartet bis du diese Halle betreten darfst? Hier darf nur sich aufhalten wer eine Tharareb Tharhat ist.“ Kamaria schüttelte Afra und wäre die Situation nicht so ernst gewesen hätte man über das Bild lachen müssen. Eine alte schwache Frau, die Afra gerade mal bis unter die Brust reichte schüttelte an der großen Frau die sich nicht einen Millimeter bewegte.
Afra wandte sich ab und riskierte einen Blick in die letzte Nische. Erstaunt stellte sie fest, dass diese Nische leer war. Auch keine Tafel war zu finden.
„Wo ist die Frau in dieser Nische?“
Kamaria schaute lange an Afra hoch und sagte dann mit leiser Stimme:
„Die Frau steht vor mir, …. es ist dein Platz Afra.“
Afra starrte auf den leeren Platz und zog die Nase nach oben.
„Wann hattest du vor mir zu sagen, dass du mich hier ablegen willst?“
Ohne eine Antwort von Kamaria abzuwarten kniete sie sich vor die Kammer ihrer Schwester, legte eine Hand auf die Glastür und sprach ein leises Gebet zu Pallas. Als sie das Gebet beendet hatte richtete sie sich entschlossen auf.
„Es muss nicht dein Platz sein Afra.“
Kamaria machte eine Pause und ergriff Afras Hand.
„Wir, die Schatten der Unterwelt haben diesen Ort gehütet weil es keine Tharhat gab die diese Aufgabe hätte übernehmen können. Jetzt nach unendlich langer Zeit jetzt gibt es wieder die Chance auf eine echte Tharareb Tharhat. Solltest du lebend das Tageslicht erreichen bist du die ungekrönte Gotteskriegerin. Dann steht dir alleine das Recht zu deine Schwestern hier ehren und auch zu pflegen.“
„Das sind alles Kriegerinnen die das Ritual nicht überlebt haben?“
Ja Afra, die die es geschafft haben starben an anderer Stelle oder an dem Tag als dein Volk vernichtet wurde.“
„Thora hat es nicht geschafft? Warum?“
„Was niemand wusste und wohl auch Thora selbst nicht war verhängnisvoll für sie. Thora litt an Höhlenangst. Sie muss wahnsinnig geworden sein und hatte nicht mehr die Konzentration sich auf die Stärke ihrer Sinne zu besinnen.“
„Was ist die Prüfung?“ wollte Afra plötzlich wissen
„Es gibt für dich so wie so keinen Weg zurück, also komm, gehen wir es an.“
Kamaria führte Afra aus der Halle in eine andere Höhle. An einer Stelle wo drei Decken lagen hielt Kamaria an.
„Von diesem Punkt an beginnt deine Prüfung. Deine Aufgabe ist es einen Ausgang zu finden. Das Portal durch das wir kamen wird sich für dich nicht öffnen. Du musst also einen Ausgang finden. Es sind zahlreiche Höhlen hier unten und in jeder lauert eine Gefahr für dich. Nur hier in dieser Höhle bist du sicher. Hier passiert dir nichts. Suche dir Wasser und suche dir Fleisch. Du bist alleine. Niemand kann dir helfen und ich werde auch nicht da sein. Mich siehst du entweder in dem Moment wo du die Oberfläche erreichst oder überhaupt nicht mehr.“
Afra schaute sich fieberhaft um und suchte Anhaltspunkte um eine Ahnung zu bekommen wie es weitergehen sollte. Nur mit halbem Ohr hörte sie auf die Worte von Kamaria. Ein leichter Grauschleier legte sich vor Afras Augen und sie sah immer undeutlicher. Die Wände vor ihr verschwammen und Kamarias Gestalt war nur noch schemenhaft zu erkennen.
„Meine Augen, Kamaria, meine Augen … ich kann nur noch undeutlich sehen.“
„Ach, das habe ich vergessen dir zu sagen. Du verlierst dein Augenlicht. Du wirst deine Aufgabe in völliger Blindheit erfüllen müssen. Deine Sehkraft erhältst du erst wieder an der Oberfläche.“
Afra spürte noch wie sich eine Hand auf ihr Gesicht legte und sich dann zurückzog. Dann hatte sie das Gefühl ganz alleine zu sein.
„Kamaria?“ rief sie, doch es gab keine Antwort.
„Kamaria? …. Kaaamaariaaaaa!!“ schrie sie aber nur das Echo rollte durch die Höhlen.
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Beitrag von SandyLee Di Jan 26, 2021 1:51 pm

Mittwoch 6. Juli 2011, 14:30
von Afra
Angst frisst die Seele auf


Afra lauschte dem Echo. Es dauerte eine Weile bis der letzte Hall nicht mehr zu vernehmen war. Unschlüssig drehte sich Afra mit dem Gesicht in die Richtung in die sich das Echo fortgesetzt hatte. Afra war sich sicher, dass sie vorhin als sie diesen Teil der Höhlen betrat etwas weiter hinten einen Durchgang gesehen hatte der aber nach rechts, in die andere Richtung zu verlaufen schien. Das Echo kam aber von der anderen Seite zurück. Selbst wenn der weitere Verlauf der Höhle nach dem Durchgang einen Bogen nach links machen sollte musste die Antwort doch aus diesem Durchgang zurück an ihr Ohr kommen. Entweder Afra hatte sich getäuscht oder es gab mindestens zwei Wege im weiteren Verlauf.
Afra überlegte fieberhaft was das für sie bedeuten könnte. Im Sekundentakt ging sie sämtlich Möglichkeiten durch konnte aber keinen klaren Gedanken fassen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich immer schneller. Sie spürte wie ihr Herz immer schneller pochte ja es schien regelrecht zu hüpfen. Sie dachte an die toten Kriegerinnen die da hinten in der Ruhmeshalle und spürte den Schlag ihres Herzen in der Kehle. Ihre Hand krallte sich um den Griff ihres Messers. Es sah aus als müsste sie hier bereits eine Entscheidung treffen wie es weiter gehen sollte. Nur welche? Welche Richtung schenkte ihr das Leben und welche den Tod?
Afra griff sich mit einer Hand an den Hals und hielt ihre Hand fest geschlossen, so als wollte sie verhindern, dass ihr Herz noch stärker pulsierte. Sie spürte, dass sie schweißnass war. In ihrer Hand pochten die Adern und der Druck in ihrem Kopf wurde langsam unerträglich. „Links oder rechts,“ immer wieder schoss ihr diese Frage durch den Kopf. Bilder die sie lange verdrängt hatte rauschten durch ihr Gehirn. Sie sah die große Anführerin der Bajunari als sie das Tor verschloss, sie sah sich alleine durch die Wälder laufen und sie erinnerte sich plötzlich wie sie es geschafft hatte ihren ersten Hasen zu erlegen, wie sie mit den Händen sein Fell aufgerissen hatte und vor Hunger das rohe Fleisch von den Knochen riss und sich in den Mund stopfte. Die Gesichter der Männer die sie vergewaltigen wollten und ihre ungläubig aufgerissene Augen als sie ihnen die Kopfhaut herunterriss. Kamaria, die gütige alte Frau die ihr eines Tages feierlich aus dem Erbe der Tharareb das große Messer schenkte das sie immer noch in der Hand hielt. Die Gesichter der Amazonen huschten an ihr vorbei und sie sah wie Janina ihre Kleine verzweifelt in das jetzt leere Lager zurückkam. Afras Körper fing an zu wanken. Die große Frau wehrte sich gegen eine drohende Bewusstlosigkeit. Langsam sank Afra auf die Knie. Erst jetzt und im letzten Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie sich selbst die Kehle zudrückte. Sie wollte die Hand wegnehmen aber sie hatte sich regelrecht um ihren Hals verkrampft. Afra war nicht in der Lage ihren Griff zu lösen. Mit letzter Kraft hob sie die Hand mit dem Messer und stach sich kurzentschlossen in den Oberschenkel. Der plötzliche Schmerz lenkte ihre Gedanken ab und der Krampf in der Hand um ihren Hals löste sich. Afra röchelte und hechelte nach Luft.
Erst als sie etwas ruhiger atmete betastete sie ihren Oberschenkel und erfühlte die Stichwunde. Um eine kleine Schwellung herum war es feucht. Afra führte ihre Finger an ihre Lippen und schmeckte das salzige Blut. Die kleine Wunde beunruhigte sie nicht. Afra atmete tief durch. Sie dachte an Thora. Das schöne gleichmäßig geschnittene Gesicht umrahmt von den langen Zöpfen bekam plötzlich Leben und vor Afras geistigem Auge bewegte sich eine große kräftige Frau. Afra stellte sich ihre Schwester als Kriegerin vor. Unwillkürlich drehte sie ihren Kopf nach hinten, so als käme Thora jeden Moment aus der Halle heraus auf sie zu.
„Sie muss wahnsinnig geworden sein…“ hörte sie Kamaria sagen. Der Satz klang laut und anklagend in ihren Ohren. Afra konnte sich die Pein ihrer Schwester in den letzten Stunden sehr gut vorstellen. Hatte sie selbst doch gerade einen Anfall von Panik erlebt.

Ganz langsam kam wieder Ruhe in Afra. Sie war bis jetzt noch gar nicht dazu gekommen ihre Blindheit zu testen. Um sie herum war Dunkelheit, nicht eine einzige Schattierung, kein einziger heller Fleck. Nur die Erinnerung ihres kurzen Aufenthaltes hier sagten ihr wie die Höhle aussah. Afra führte die Hand mit dem Messer vor ihre Augen und fuchtelte damit vor den Augen herum. Nichts. keine Schatten. Afra drehte den Kopf und machte Verrenkungen in allen Lagen und fuchtelte weiter. Sie konnte auf ihre Hand schauen so lange sie wollte aber egal wie sie den Kopf auch drehte nichts veränderte sich in der Dunkelheit.
Wieder spürte sie wie Angst aufkam.
„Nicht schon wieder Afra,“ murmelte sie und rief sich selbst zur Ordnung. Langsam tastete sie mit den Händen auf dem Boden herum. Sie suchte die Decken die sie vorhin noch gesehen hatte. Der Boden war warm und sandig. Afra griff in den Boden und lies feinen Sand durch ihre Finger rieseln. Sie war sich sicher. Da hinten in der Ruhmeshalle war sie auf kühlem Steinboden gelaufen. Hier war Sand und es war warm. Afra tastete weiter nach den Decken. Sie mussten doch vor ihr sein. Sie hatte sich doch überhaupt nicht bewegt. Wo waren diese verdammten Decken? Wieder musste sich Afra selbst beruhigen als sie spürte wie die Angst in den Körper kroch.
„Atme regelmäßig Afra, atme regelmäßig,“ gab sie sich selbst Befehle. Auf allen Vieren tastete sie sich vorsichtig im Kreis herum. Das Messer bohrte sie in den Sand und sie stellte fest, dass der Sand sehr tief war. Der Stahl stieß auf keinerlei Widerstand. Nur das leise Knirschen war zu hören das die Sandkörner verursachten wenn sie sich am Stahl rieben. Afra hielt plötzlich inne. In diesem Moment hatte sie noch eine Erkenntnis. Sie vergewisserte sich indem sie das Messer noch einmal in den Boden steckte und gespannt lauschte. Sie hörte deutlich das Knirschen des Sandes sonst war da kein Laut.
Absolute Stille, unheimliche Stille.
„Ha!“ sagte sie leise. Der Klang ihrer Worte ließ sie erstaunt aufhorchen. Obwohl sie versucht hatte leise zu sein war ihr „ha“ laut und deutlich zu hören. In diesem Raum gab es keine weiteren Geräusche aber auch nicht das schöne deutliche Echo das sie vorhin so verwirrt hatte. Afra hatte die Orientierung verloren. Das Echo vorhin war keine Täuschung gewesen da war sich Afra ganz sicher. Langsam stand Afra auf und überlegte kurz. Konnte sie es wagen sich laut und deutlich bemerkbar zu machen. Wo war die Gefahr, wer waren die Feinde? Andererseits, da war Afra auch überzeugt davon, würden die Feinde längst wissen, dass sie hier ist.
„Hier bist du sicher, hier passiert dir nichts,“ hatte Kamaria gesagt. Also würde sie auf die Gefahr zugehen müssen wenn sie sich von hier weg bewegen wollte. Was konnte es da schaden wenn ihre Gegner sie jetzt schon hörten?
Kurz entschlossen rief sie laut ihren Namen: „Aaafra!“
Der Klang kam nur kurz zurück aber kein Echo. Afra machte eine viertel Drehung und rief wieder ihren Namen. Das gleiche Ergebnis. Noch eine Drehung und noch eine. Als Afra schon fast an ihren Wahrnehmungen zu zweifeln begann und sich wieder Angst breit machen wollte hörte sie endlich das Echo.
„Aaaaffraaaaa!“ rief sie laut und lauschte wie ihr Name langsam nach hinten durch Höhle verhallte. Sie wiederholte das so lange bis sie sicher war jetzt wieder genauso zu stehen wie sie das Echo zum ersten Mal gehört hatte. Nach links vorne rolle das Echo, nach recht gab es einen Durchgang, hinter ihr musste die Ruhmeshalle sein und jetzt etwa zwei Schritte nach rechts mussten die Decken liegen. Vorsichtig bewegte sich Afra seitlich immer darauf achtend sich ja nicht mehr zu verdrehen. Zufrieden atmete sie durch als ihre Füße die Decken ertasteten. Sie setzte sich ohne sich zu verdrehen auf den Boden und zog die Decken zu sich her. Drei große Decken aus Wolle stapelte sie um sich herum. Aus einer der Decken schnitt sie mit dem Messer einen Streifen etwa vier Mal so lang wie ihre ausgestreckten Arme. Daraus flocht sie eine etwa halb so lange Schnur. Sie verknotete den Griff des Messers mit der Schnur und band sich die Schnur um den Bauch. Jetzt konnte sie das Messer nicht mehr verlieren. Sie schlang sich die Schnur noch um den Oberkörper über die Schulter und hatte so das Messer vor ihrem Bauch baumeln. Das reichte um es immer griffbereit zu haben und sollte es zu einem Kampf kommen und wenn sie mehr Bewegungsfreiheit brauchen sollte, brauchte sie nur die Schnur über die Schulter werfen und sie hatte die ganze Armlänge zum zustoßen.
Jetzt schnitt Afra noch einen kleineren Streifen ab und flocht eine kleine Schnur. An einem Ende machte sie einen dicken Knoten. Das sollte ihr Richtungsgeber sein. Afra stand auf und raffte die Decken zusammen. Sie vergewisserte sich am Echo ob sie noch in der richtigen Richtung stand in dem sie laut ihren Namen rief. Dann ging sie langsam rückwärts. Schritt für Schritt bis ihre Füße auf den kühlen Steinboden standen. An der Grenze zwischen Sand- und Steinboden legte sie die Decken ab und breitete sie aus. Auf der mittleren Decke legte sie die Schnur mit dem Knoten. Der Knoten zeigte in die Richtung des Höhlenausgangs. Afra war mit sich zufrieden. Irgendwie war die Angst von ihr gewichen und sie handelte wieder instinktiv wie die erfahrene Skalpjägerin. Die Hände weit von sich gestreckt lief Afra in die Halle hinein und dann zur Seite. Ihre Hände stießen gegen eine Wand. An dieser Wand tastete Afra sich weiter in die Halle hinein bis sie am Ende auf eine Wand prallte. Sie rieb sich die Schulter und tastete sich an dieser Wand weiter. Sie wollte zu dem großen Tor und prüfen ob es wirklich nicht zu öffnen war. Sie spürte das Eisen unter ihrer Hand und versuchte verzweifelt einen Griff zu finden. Irgendeinen Ansatz. Aber das Eisen war glatt wie ihre Haut.
Dieser Weg war wirklich verschlossen.
Die Enttäuschung währte nicht sehr lange. Damit hatte Afra ja gerechnet aber sie wollte eben nur ausschließen, dass sie auch nicht die kleinste Möglichkeit geprüft hatte. Langsam tastete sie sich wieder zu der Seitenwand. Die erste Nische war ja leer, es sollte einmal ihr Platz sein. Die nächste Nische aber war die ihrer Schwester.
„Thora Metabeth,“ sprach sie laut vor sich hin während sie sich vor der Glastür auf den Boden setzte. „Meine große Schwester Thora. Verzeih mir aber ich hatte keine Ahnung von deiner Existenz.“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie wie im Selbstgespräch fort: „Weißt du, ich war immer alleine, ich bin einsam, sehr einsam. Seit einer kurzen Zeit habe ich Freunde. Sie besuchen mich, sie reden mit mir, manche denken ich sei verrückt und haben Nachsicht. Aber es sind gute Menschen.“
Afra konnte nicht verhindern dass sich ihre Augen mit Wasser füllten und die Tränen auf ihren Bauch tropften.
„Darf eine Kriegerin weinen? Thora hilf mir, … ich bin so alleine … kaum habe ich dich gefunden habe ich dich auch schon wieder verloren. Ich verspreche dir liebe Thora, ich stehe das hier durch, für dich, für mich, für uns und dann besuche ich dich sehr oft. Was musst du gelitten haben als du alleine warst hier. Ich kann deine Angst sehr gut verstehen. Einsam zu sterben ist nicht schön. Ich verspreche dir, ich komme zurück zu dir.“
Afra ging auf die Knie und drückte ihre Hände gegen das Glas. Die Tränen liefen jetzt hemmungslos.
„Ich verspreche dir, dass ich zurück komme. Ich lasse nicht zu, dass die Angst meine Seele frisst …“
Afra legte sich auf den Boden. Gewohnheitsmäßig schloss sie die Augen und weinte sich in den Schlaf.

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Beitrag von SandyLee Di Jan 26, 2021 1:52 pm

Donnerstag 7. Juli 2011, 15:36
von Afra
Mit den Ohren sehen


Afras Schlaf war nur ein kurzer Schlaf. Als sie die Augen öffnete und alles um sie herum in Dunkelheit versunken blieb tastete sie wie wild um sich herum. Sie brauchte ein paar Sekunden bis sie begriff dass sie nicht geträumt hatte und alles jetzt von ihr abhing. Afra hätte nicht so lange alleine überleben können wenn sie nicht gelernt hätte Situationen und Umstände in Kauf zu nehmen die auch Gefahr für sie bedeuteten.
In Afra erwachte der Instinkt und Siegeswille die sie als Jägerin und Kämpferin ausgezeichnet hatten.
Sie fing an ihre Taktik zu überlegen.
Kamaria hatte gesagt, dass es darauf ankäme, dass sie ihre Sinne beherrsche. Die Tatsache, dass es vor ihr schon Kriegerinnen geschafft hatten als Tharhat hier hervor zu gehen war eine beruhigende Tatsache. Immerhin war es machbar. Die Schwestern die hier ruhten hatten also, wie Thora ihre Schwester, ein Problem sich auf die neuen Umstände einzustellen.
Wort für Wort versuchte sie sich die Unterhaltung mit Kamaria ins Gedächtnis zu rufen um eventuelle Hinweise für ihr weiteres Vorgehen zu erhalten. Kamaria hatte auch gesagt, dass es nicht auf ihre Fähigkeiten als Jägerin und Killerin ankam, diese hätte sie zur Genüge unter Beweis gestellt. Daraus zog Afra den Schluss, dass sie es nicht unbedingt mit gefährlichen Gegnern zu tun hatte. Andererseits hatte Kamaria ihr auch nicht vorher verraten, dass sie blind sein würde. Man konnte also dieser alten Frau nicht über den Weg trauen.
Wo aber lauerte die Gefahr? Was war so gefährlich, dass es tödlich enden konnte?
Afra stand auf und drehte sich zu der Nische ihrer Schwester. Als ob sie ihre Nähe suchte legte sie eine Hand auf die Tür.
„Wir werden es herausfinden, ich kann nicht hier bei dir bleiben und je früher ich weiß was mich erwartet desto früher sehen wir uns wieder.“
Afra hauchte einen Kuss auf die Tür und tastete sich wieder zurück zur Höhle. Nach ein paar Schritten hielt sie inne.
„Ich kann nicht immer nur an der Wand entlang, ich muss lernen zu gehen,“ murmelte sie im Selbstgespräch. Sie stellte sich als mit dem Rücken an die Wand und nahm allen Mut zusammen. Entschlossen ging sie dann einige Schritte in die Halle hinein. Nach einer viertel Drehung setzte sie ihren Weg fort. Erst waren es zögerliche Schritte. Vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Dann aber wurde sie mutiger und lief munter drauflos. Sie brauchte ja nur die Richtung einzuhalten bis sie den weichen warmen Sand unter den Füßen spürte.
Plötzlich stieß sie mit den Füßen an etwas Hartem an. Ein Schmerz durchzuckte sie und sie hatte das Gefühl ihre Zehen seien gebrochen.
„Ahhhh, Aua, Schamanenfurz,“ fluchte sie und hüpfte von einem Fuß auf den anderen. Dabei stieß sie wieder an etwas an das mit einem lauten scheppernden Geräusch umfiel. Glas splitterte und in der gleichen Sekunde spürte sie wie es heiß um sie herum wurde. Instinktiv machte sie einen Satz nach hinten und fiel über ein kleines Podest.
„Feuer,“ dachte sie und spürte Angst aufkommen, „wo verdammt noch mal kommt das Feuer her?“ Sie hielt schnuppernd ihre Nase in die Richtung der Flammen. „Fett, hier verbrennt Fett,“ dachte sie und erinnerte sich an die blauen und roten Lichter die die Halle erleuchteten. „Ich muss eine dieser Lampen umgestoßen haben,“ fluchte sie. Auf allen Vieren tastete sie sich vorwärts bis die heiße Quelle ganz nahe war. Beinahe hätte sie mit den Händen in das brennende Fett gegriffen. Langsam tastete sie sich um das Feuer herum. Afra hatte das Gefühl, dass das Feuer auf einem kleinen Platz sich ausgebreitet hatte. Das beruhigte sie. Das Feuer selbst machte ihr kein Kopfzerbrechen. Hier gab es nichts was durch Feuer zerstört werden konnte und wenn das Fett verbraucht war würden auch die Flammen von selbst erlöschen. Langsam richtete sich Afra wieder auf. Sie versuchte sich vorzustellen wie ihre Bewegungen waren um sich erneut auszurichten und wieder ging sie mit langsamen Schritten in Richtung Höhle. Dieses Mal blieb sie beim vorsichten Gehen um nicht wieder irgendwo anzustoßen.
„Ich muss lernen vorauszuahnen,“ dachte sie, „sonst bin ich die größte Gefahr für mich“
Erleichtert atmete sie auf als sie den weichen Sand unter den Füßen spürte. Jetzt bewegte sie sich immer an der Grenze zwischen Halle und Höhle entlang bis sie ihre Decken wieder fand. Als sie nach ihrer Richtungsschnur tastete war sie richtig stolz auf sich, dass sie sogar die Richtung eingehalten hatte. Sie stand exakt in der Richtung in die der Knoten wies. Jetzt erst nahm sie sich Zeit. Sie setzte sich und untersuchte ihre Zehen. Sie befühlte jede einzelne Zehe und bewegte sie. Afra war zufrieden. Es schmerzte zwar fürchterlich wenn sie die Zehen bewegte aber sie ließen sich ohne ein Knacken im Knochen bewegen. Gebrochen war also keine. Afra ruhte sich etwas aus. Spielerisch nahm sie ihr Messer zur Hand. Sie warf es in die Luft und fing es wieder auf. Immer wieder trieb sie dieses Spiel. Dann band sie das Messer von der Schnur ab. Sie wollte es etwas kräftiger werfen. Sie stand auf um bei einem Griff daneben nicht vom fallenden Messer verletzt zu werden. Mutig warf sie das Messer in die Luft und griff auch prompt daneben. Dieses Zwischenspiel war so ganz nach ihrem Geschmack. Afra hatte Ehrgeiz und sie wollte eine Balance finden zwischen ihrer Kraft das Messer zu werfen, dem Gewicht des Messers und mit welcher Geschwindigkeit es wieder zurück kam. Afra vergaß ihre Aufgabe, dachte weder an Ritual noch an ihre Blindheit. Ein Messer in ihren Händen musste beherrscht werden. Ein Spieltrieb mit dem sie schon als Kindheit ihre Fertigkeiten im Umgang mit einer Waffe befriedigte. Immer wieder warf sie das Messer. So lange bis sie das Messer sicher auffing. Dann variierte sie ihre Würfe. Warf mal hoch, mal niedrig, mal kraftvoll, übermütig machte sie sogar Drehungen. Sie war erst völlig zufrieden als das Messer jedes Mal wieder sicher in ihrer Hand landete. In Afra machte sich ein Gefühl von unsäglicher Stärke breit. Ihr Selbstbewusstsein war in diesem Moment kaum zu überbieten. Übermütig warf sie das Messer einige Schritte weiter in den Sand. Sie merkte sich wo das Geräusch des Aufschlags war, drehte sich einmal im Kreis und ging vorwärts um das Messer wieder aufzunehmen. Sie erfasste ihre Waffe nicht auf Anhieb und musste suchen. Aber sie ließ sich dadurch nicht entmutigen. Immer wieder warf sie das Messer kreuz und quer in den Sand. Das wiederholte sie so lange und so oft bis sie das Messer ohne zu suchen aufnehmen konnte. Sie schaffte es sogar sich in die Richtung des Messers zu werfen und mit einem geschickten Griff das Messer kampfbereit in der Hand zu halten. Mit ihrem Gehör erfasste sie die Stelle an der die Waffe aufschlug. In diesem Moment tauchte das Messer auch bildlich vor ihren Augen auf. Afra lernte zu sehen mit ihren Ohren. Zufrieden ließ sie sich auf ihre Decken fallen und dachte nach. Jetzt wo sie wieder sich selbst war hatte sie zum ersten Mal auch die Zeit um sich um sie selbst zu kümmern. Ihr Mund war trocken und das erinnerte sie jäh daran, dass sie hier nicht bleiben konnte. Sie brauchte Wasser um zu überleben. Kurz entschlossen band sie sich wieder das Messer um, raffte ihre Decken zusammen und legte sie sich über die Schultern. Ein lautes Rufen und dann richtete sie sich nach den Echo aus und entschloss sich erst einmal dem Echo zu folgen.
Langsam und Schritt für Schritt tapselte sie an der Wand entlang vorwärts. In kurzen Abständen wiederholte sie ihr Rufen. Das Echo wurde deutlicher und tatsächlich gab es an der Wand einen Knick nach links. Der Boden unter ihren Füßen war jetzt grober. Immer häufiger trat sie auf kleine Steine. manchmal blieb sie stehen und lauschte. Aber außer ihren Atemzügen war nichts zu hören. Afra wurde mutiger und drang weiter in die nächste Höhle ein.
Plötzlich verlor sie den Halt unter den Füßen. Anstatt auf festen Grund den Fuß zu setzen tapste sie ins Leere und verlor ihr Gleichgewicht. Sie stürzte vorwärts und rutsche einen Abhang hinunter. Verzweifelt versuchte sie irgendwo Halt zu finden. Aber an den losen Steinen gab es nichts was ihren Sturz aufhalten konnte. Afra schrammte einen Abhang hinunter. Es kam Afra wie eine Ewigkeit vor bis ihre Füße plötzlich in feuchtem Matsch wieder Halt fanden. Ihre Haut war aufgeschrammt und ihr Körper schmerzte und als sie sich aufrichten wollte stieß sie mit dem Kopf an eine Wand. Mit einem schmerzvollen Aufschrei fiel sie wieder zurück. Sie versuchte wieder aufzustehen. Vorsichtig tastete sie mit den Armen nach vorne. Mit den Händen konnte sie sich an einer Wand abstützen. Afra tastete aufgeregt weiter. Sie drehte sich im Kreis aber ihre Hände waren auf einer Wand aus Sand und Stein. Jäh kam ihr die Erkenntnis, dass sie in ein Erdloch gefallen war. Instinktiv versuchte sie sofort wieder nach oben zu klettern. Vergeblich. Zu lose war die Wand und alles was sie erreicht war, dass Sand auf sie herab rieselte. Die Luft in dem Loch war stickig und der Sand zwischen ihren Zähnen knirschte. Afras Atem ging schneller und schneller. Zorn und Panik kam hoch.
„Ich will nicht in einem Erdloch sterben,“ schrie sie nach oben, „gib mir richtige Gegner.“ Verzweifelt tastete sie um sich herum und suchte irgendeinen festen Halt, irgendeinen Anfang um einen Weg aus diesem Grab zu finden. Das Blut fing an zu pochen und Afra spürte, dass sie sich zur Ordnung rufen musste. „Noch lebst du,“ sprach sie sich Mut zu und um sich zu beruhigen fing sie leise an ein Lied zu singen. Als das nichts half fing sie an die Namen ihrer Amazonenfreunde aufzusagen.
„Cindy, Lilith, Ly, Sandy, Sirena, Jadzia, Janina ….. yve, Thukal,“
Immer und immer wieder wiederholte sie die Namen bis sie glaubte jede Einzelne vor sich zu sehen. Allmählich beruhigte sie sich wieder. Sie lehnte sich mit der Schulter an die Wand und begann mit den Füßen an der gegenüberliegenden Wand hochzuklettern. Stück für Stück arbeitete sie sich nach oben und betete zu Pallas, dass das Loch oben nicht so breit würde dass sie keinen Halt mehr finden konnte.
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Beitrag von SandyLee Di Jan 26, 2021 1:52 pm

Freitag 8. Juli 2011, 16:07
von Afra
Der Zorn der Götter


Mit letzter Kraft hatte sich Afra über den Bodenrand des Loches gezogen. Erschöpft blieb sie einfach liegen bis sie wieder zu Atem kam. Erfreut stellte sie fest, dass sie auch noch auf der richtigen Seite hochgekommen war. Sie fand ihre Decken wieder die sie beim Sturz verloren hatte. Sie rappelte sich auf und schrie ein erleichtertes „Ha!“ in die Luft. Dann hüpfte sie mit beiden Füßen auf der Decke in die Höhe und fuchtelte mit ihrem Messer in der Luft herum.
„Ha!“ schrie sie, „hast du gedacht du kriegst mich?, Ha! Ha! Musst du dir was besseres einfallen lassen!“
Afra zeigte verächtlich mit dem Messer in Richtung des Loches vor ihr:
„Ein Erdloch für Afra,“ schrie sie, „hinterhältig! aber nicht genug für Afra, hast du gesehen, schnell wie ein Schamanenfurz war ich wieder draußen.“ Wütend stampfte Afra auf ihrer Decke herum und tobte.
Plötzlich rollte ein mächtiger Donner durch das Höhlenlabyrinth. Afra wankte und wäre beinahe wieder in das Loch gefallen. In letzter Sekunde konnte sie sich geistesgegenwärtig nach hinten fallen lassen. Der Boden unter ihr wankte und von der Höhlendecke krachten die Steinbrocken um Afra herum. Afra zog den Kopf ein, hielt schützend ihre Hände über den Kopf und versuchte zur Seitenwand zu rollen. Afra hatte das Gefühl als würde sich der Boden neigen.
„Schon gut!“ schrie sie und drückte sich an die Wand. Langsam hörte das Grollen auf und nur noch vereinzelnd fielen Steine von oben herab. Sand rieselte auf Afra und sie spuckte um Luft zu bekommen den Sand aus ihrem Mund. „Die Erde bebt,“ schoss es ihr durch den Kopf. Afra hatte das schon unzählige Male erlebt. Das Land war übersät mit Vulkanen und immer wieder gab es solche Beben. Afra hatte auch oft genug erlebt wie Felsen zusammen gestürzt waren und mühsam errichtete Gebäude dem Beben zum Opfer fielen. Aber jetzt, hilflos, blind und tief unter der Erde in einer Höhle eingeschlossen versetzte das Beben Afra in Todesangst. In Gedanken schickte sie ein Gebet nach dem anderen an Pallas und bat um Nachsicht. Erst nach und nach als der Sand aufgehört hatte zu rieseln und Afra nicht mehr spucken konnte weil ihr Mund voller Sand und trocken war kam wieder Bewegung in die Frau. Fieberhaft suchte sie nach ihren Decken und fand sie tief unter Sand vergraben. Sie zog sie heraus und schüttelt sie aus, klopfte an sich herum um den Sand aus den Haaren und vom Körper zu bekommen. Da wo sie sich vorhin beim Sturz die Haut aufgeschürft hatte klebte jetzt überall auf dem Körper eine dicke Sandkruste. Afra traute sich nicht diese Krusten zu entfernen. Das feuchte Blut hatte den Sand verklebt.
„Ich brauche unbedingt Wasser,“ dachte sie und tastete auf dem Boden nach einem Weg um das Erdloch zu umgehen. Soviel sie auch den Boden absuchte, aber da war kein Loch mehr. Ein großer Steinbrocken war da jetzt vor ihr. Sie warf sich wieder die Decken über die Schulter und hangelte sich um den Brocken herum wieder zur Wand. Schritt für Schritt tastete sie sich an der Wand entlang. Ihre Füße traten auf spitze Steine und um sich nicht noch mehr zu verletzten trat sie ganz vorsichtig auf. Dann kam ihr plötzlich eine Idee.
Afra setzte sich auf den Boden und schnitt mit dem Messer ein großes Stück aus einer Decke heraus, dann noch eins und noch eins. Dann schnitt sie noch ein paar lange Streifen aus denen sie Schnüre flocht. Alles legte sie fein säuberlich um sie herum. Ihre Handgriffe waren so sicher. Sie brauchte gar nicht mehr nachdenken wo sie was abgelegt hatte. Zielsicher griff sie zu. Sie band sich einen der Lappen um den Fuß. Sie umwickelte den Fuß ziemlich eng und mit einem der geflochtenen Schnüren band sie den Lappen dann knapp oberhalb des Fußknöchels fest. Sie stand auf und prüfte mit festem Tritt den Halt ihrer neuen Schuhe und als sie damit zufrieden war tat sie das Gleiche mit dem anderen Fuß. Jetzt hatte sie Schuhe. Das dritte Teil aber durchbohrte sie an vier Enden mit dem Messer und zog eine Schnur durch die Löcher. Die Enden der Schnur verknotete sie zu einem Trageriemen den sie sich um den Hals legte. Jetzt hatte sie einen Beutel. Afra sammelte kleine Steine ein und legte sie alle in den Beutel der vor ihrer Brust baumelte. Nachdem sie die restlichen Decken zusammen gesammelt hatte richtete sie sich auf. Mit einer Hand an der Wand mit der anderen Hand warf sie Steine vor sich her und lauschte. So wusste sie ob ein Hindernis vor ihr war und kam sehr viel schneller vorwärts.
Von weit hinten kam wieder dieses Grollen durch die Höhle. Wieder wankte der Boden unter ihr. Afra hörte wie hinter ihr Steine rumpelten und drückte sich angstvoll gegen die Wand. Nur kurz währte das Beben und da wo Afra sich befand rieselte auch nur feiner Staub von der Decke. Afra schüttelte sich kurz ging weiter.
„Ich muss hier raus, ich möchte nicht in dieser Höhle vom Sand begraben werden,“ murmelte sie und warf wieder Steine. Eine ganze Weile lief Afra auf diese Weise immer weiter in das Labyrinth hinein ohne dass etwas passierte. Aber dann plötzlich lauschte sie. Der Stein den sie geworfen hatte rollte weiter. Das feine Geräusch, das ein Stein verursacht wenn er auf fast glatter Oberfläche langsam dahin rollte. Afra warf noch ein paar Steine um sicher zu gehen. Da vorne, unweit von ihr wurde der Boden glatt und abschüssig. Afra warf mehrere Steine zur Seite um die Breite der Höhle abzuschätzen. Die Höhle war höchstens 20 Schritte breit. Ein Wurf nach oben und Afra wusste, dass die Höhle auch nicht besonders hoch war. Sie war also in einem schmalen unterirdischen Gang. Sie wagte sich von der Wand weg. Sie warf Steine einmal links und einmal rechts um sicher zu sein, dass sie sich einigermaßen in der Mitte befand. Dann ging sie vorwärts.
Afra war mit sich zufrieden. Wie sie es vorausgesehen hatte. Ihre Füße hatten jetzt einen fast glatten Boden unter sich. Steine in die verschiedenen Richtungen zeigten ihr, dass hier und da kleine Felsbrocken liegen mussten. Sie lauschte wie unterschiedlich die Steine rollten und dachte sich so ihren Weg.
Sie ging weiter. Vorsichtiger und mit den Füßen tastend ging es Schritt für Schritt weiter. Afra lobte sich selbst wenn sie einen Felsbrocken vorausgesagt hatte und ihn auch an der Stelle vorfand. So kam sie ohne Verletzungen weiter. Nach weiteren Steinwürfen hörte sie plötzlich ein „Plop!“
Afra warf Steine und hörte immer wieder dieses „Plop!“
„Wasser,“ schoss ihr durch den Kopf, „da vorne muss Wasser sein,“ murmelte sie.
Vorsichtig ging sie nach unten um auf allen Vieren vorsichtig weiter zu gehen. Sie wollte keine weiteren bösen Überraschungen. Und richtig, nach wenigen Metern griffen ihre Hände in Wasser. Sie patschte ein wenig darin herum. Jede andere hätte sich vielleicht sofort daran gemacht und hätte getrunken oder sich den Mund ausgespült. Afra aber dachte erst nach. Sie wollte erst sicher sein was da vor ihr war. Sie tastete sich seitwärts nach rechts immer am Wasser entlang bis sie auf eine Wand stieß. Dann den gleichen Weg zurück. Auch hier stieß sie an eine Wand. Das Wasser vor ihr war als auf der ganzen Breite der Höhle. Afra kroch wieder bis zur Mitte und machte sich ihre Gedanken. Etwas war ihr nicht geheuer. Das Wasser war warm, sehr warm. Vorsichtig schöpfte sie mit einer Hand etwas Wasser und roch daran. Der Geruch war eigenartig und sie bekam einen Hustenanfall. Sie leckte sich die Hand ab. Das Wasser schmeckte sauer. Afra überlegte ob sie schon einmal so saures Wasser gefunden hatte und ob es giftig war. Sie erinnerte sich. Bei den Amazonen am großen Fluss wo die beiden aktiven Vulkane waren. Da war das Wasser auch warm, nicht so wie hier, aber deutlich wärmer als sonst und es schmeckte auch sauer. Afra entschied sich von diesem Wasser zu trinken. Erst einen kleinen Schluck. Dann horchte sie in sich hinein. Keine Krämpfe, keine plötzlichen Schmerzen. Afra spülte sich jetzt den Sand aus dem Mund und trank etwas von dem Wasser. Nur wenig und nicht überstürzt.
Die Erinnerung an den Vulkan auf Amazonien machte ihr Sorgen. Was wenn der Weg durch das Wasser plötzlich im heißen und flüssigen Stein endete? Was wenn sie plötzlich in einen Schlund fiel. Gegen diese Hitze war sie machtlos. Afra legte die Decken ab und auch den Beutel und behielt nur das Messer. Dann glitt sie langsam und vorsichtig in das Wasser. Der Boden fiel nicht steil ab. Ganz sanft war die Böschung. Afra hatte keine Angst vor dem Wasser. Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin und konnte lange unter Wasser sein. Sie hatte bisher nur keine Notwenigkeit gesehen jemanden davon zu erzählen. Als das Wasser ihr bis zum Bauchnabel reichte hielt sie kurz inne und wusch sich vorsichtig die Sandkrusten von ihrem Körper.
„Uiiiii, pffffft,“ Afra pfiff die Luft durch die Zähne. Die Wunden brannten wie Feuer. Es dauerte eine Weile bis Afra sich an den Schmerz gewöhnt hatte dann ging sie vorsichtig weiter. Das Wasser war unten an den Füßen schon sehr warm. Kurz entschlossen tauchte Afra unter. Wie sie vermutet hatte wurde das Wasser immer wärmer je tiefer sie kam. Als es unerträglich heiß wurde und Afra drohte der Schädel zu platzen stieg sie eilig wieder auf. An der Oberfläche schüttelte sie ihre Mähne und japste nach Luft. Ihr war schwindelig und sie beeilte sich wieder ans Ufer zu kommen.
„Dort unten ist ein Vulkan,“ dachte sie, „aber ich muss da weiter. Entweder meine Reise endet hier oder aber es gibt da vorne wieder einen Weg.“
Kurz entschlossen band sie sich wieder ihren Beutel mit den Steinen um. Die Decken verknotete sie zu einem Bündel das sie sich auf den Kopf legte. Dann schritt sie mutig in das Wasser bis sie den Boden unter den Füßen verlor. Jetzt paddelte sie mit erhobenem Kopf sich langsam vorwärts. Das Wasser wurde immer wärmer. An manchen Stellen wurde es sogar heiß und Afra begann laut vor sich hin zu beten:
„Ich habe keine Angst….Ich habe keine Angst… Afra hat keine Angst.“
Je heißer das Wasser wurde desto lauter schrie sie die Worte. Immer wieder holte sie einen Stein heraus und warf ihn vor sich. Das Wasser war jetzt schon so warm, dass sie sich im Wasser ganz flach machen musste um nicht abgekocht zu werden.
„Afra hat keine Angst,“ schrie sie, „Ich habe keine Angst…. Ich habe keine Angst…. Afra hat …“ Plötzlich brach sie ab. da war ein anderes Geräusch. Afra warf schnell noch ein paar Steine sehr weit vor sich.
„Pallas bitte lass das da vorne kalte Steine sein,“ schrie sie und bekam einen Hustenanfall. Die Dämpfe über dem Wasser waren jetzt so dicht dass Afra nur noch heißen, sauren Dampf einatmete. Afra paddelte schneller und passte auf, dass sie ihre Decken nicht verlor. Erleichtert stellte sie fest, dass die Hitze im Wasser abnahm und dass sie sich das Knie am seichten Ufer anschlug spürte Afra schon gar nicht mehr vor Freude. Das Ufer war glatt aber das Gestein war fest und nicht heiß. Kraftlos kletterte sie vollends aus dem Wasser. Sie warf ihre Decken auf den Boden und breitete sie aus. Dann legte sie sich erschöpft mit ausgebreiteten Armen auf die Decken. Die Hitze und das warme Wasser hatten ihren Körper völlig ausgelaugt. Afra konnte nur noch leise flüstern: „Danke Pallas….“ dann war sie eingeschlafen.
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Das Ritual Empty Re: Das Ritual

Beitrag von SandyLee Di Jan 26, 2021 1:53 pm

Montag 11. Juli 2011, 15:27
von Afra
Die Hinterlist der Schlange


Ein Hustenanfall beendete Afras Schlaf. Ein beißender Geruch in Nase und Mund ließ Afra von ihrem Lager hochfahren. Sie schrie auf vor Schmerzen und setzte sich gleich wieder benommen auf ihre Decken. Die schnelle Bewegung hatte die Verkrustungen der Wunden an ihrem Körper die sich während der kurzen Ruhephase gebildet hatten aufgerissen. Die Wunden brannten wie Feuer und Afra wartete sitzend ab bis sie sich an den Schmerz gewöhnt hatte. Instinktiv ergriff sie einen Zipfel der Decke und hielt ihn sich vor Mund und Nase. Dampf war in der Luft. Heißer und beißender Dampf. Es roch nach Schwefel und nach verfaulten Eiern. Unweit vor sich hörte Afra ein seltsames blubbern. Afra spürte auch deutlich, dass es sehr viel wärmer geworden war und dass auch der Boden unter ihr sehr warm war. Da wo das Blubbern herkam war sie noch vor Kurzem durch einen kleinen Höhlensee geschwommen. Afra ging vorsichtig auf die Knie und tastete sich wieder zurück zum Wasser. Mit jedem Meter wurde der Boden wärmer und da wo sie mit ihren Händen in das Wasser griff war der Boden sogar heiß. Hastig zog sie Hand zurück und pustete sich Kühlung zu. Das Wasser war heiß und das Blubbern rührte eindeutig von großen aufsteigenden Luftblasen. Das Wasser vor ihr kochte. Afra überlegt kurz was das zu bedeuten hatte.
„Der Vulkan schickt mir sein Feuer,“ murmelte sie entsetzt, „Pallas warum schickst du mir die Feuergeister?“
Afra war überzeugt, dass das Erdbeben die Aktivität des Vulkans verstärkt hat und dass die bisher gefangenen Feuergeister nun hinter ihr her waren. Sie hatte oft genug zugesehen wie ein Vulkan Flammen spuckte und wie rotglühender Brei sich aus den Erdlöchern nach draußen drückte und alles verbrannte was sich in den Weg stellte. Nichts und niemand konnte diesen Brei aufhalten. Afra stellte sich vor wie dieser Brei sich langsam vom Grund des Sees nach oben drückte, das Wasser verdampfte und dann durch die Höhlen sich weiter ausbreitete. In ihrer Phantasie malte sie sich aus wie sie von diesem Brei eingeholt und dann in den Flammen unterging. Ihr Herz begann wieder wie wild zu schlagen und Panik stieg in ihr hoch. Sie rutschte rasch zurück zu ihren Decken und setzte sich verzweifelt hin. Sie konnte überlegen wie sie wollte aber sie fand keine Möglichkeit und hoffte nur, dass sie diesen Weg weitergehen konnte und sie so aus dem Gefahrenbereich entkommen konnte. Sie raffte so schnell sie konnte ihre Sachen zusammen. Sie tat dies so sicher und selbstverständlich dass ein unbeteiligter Dritter nie auf den Gedanken gekommen wäre dass da eine blinde Frau agierte. Afra achtete jetzt nicht mehr auf ihre Schürfwunden und die platzenden Verkrustungen, sie wollte nur noch weg hier und möglichst viel Distanz zwischen sich und dem Feuerbrei bringen. Die Decken platzierte sie jetzt so auf ihren Schultern dass sie immer einen Zipfel vor Mund und Nase halten konnte. Dann schritt sie los. Der Boden unter ihr war anfänglich noch glatt, wie geschliffen und wurde dann immer rauer. Vereinzelt stießen ihre Füße an kleinere Steinbrocken aber darum kümmerte sie sich nicht. Nur weg von hier. Wie lange Afra so vorwärts drängte konnte sie selbst kaum abschätzen. Afra hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sie handelte nur noch nach dem was ihr die Umstände diktierten. Zwischendurch nahm sie auch immer die Decke von ihrer Nase und prüfte die Luft. Die Luft hier war immer noch sehr warm aber nicht mehr so beißend und der Gestank war auch nicht mehr so aufdringlich. Afra verzichtet auf den Atemschutz und konnte wieder mit beiden Armen ihre Umgebung erfühlen. Sie ging jetzt langsamer und vorsichtiger. Die Tatsache, dass sie größere Hindernisse erkannte und sie umgehen konnte machten sie immer sicherer. Sie freute sich über jeden Felsbrocken den sie richtig „gesehen“ hatte. Langsam beruhigte sich auch ihr Pulsschlag wieder.
Plötzlich hielt sie inne. Afra überlegte und horchte. Sie fand noch nicht heraus was sich verändert hatte aber irgendetwas war anders.
„Afra!“ sagte sie laut aber sie hörte nichts als ihre eigene Stimme. Kein Echo nicht einmal der kleinste Hall. Sie warf ein paar Steine nach vorne und horchte. Die Steine fielen in dem Abstand zu Boden indem sie auch mit mehr oder weniger Kraftaufwand geworfen hatte. Dass die Steine nicht rollen oder kullerten hatte nichts zu bedeuten. Da vorne war also nichts. Sie warf ein paar Steine nach links und rechts. Die Steine prallten an eine Felswand. Sie vergewisserte sich und horchte genau hin. Das war es! Die Höhle wurde enger. Nach ihrer Schätzung war die Höhle jetzt nur noch etwa zehn Schritte breit. Ihre Wahrnehmung hatte sie also nicht getäuscht. Sie drehte sich kurz in die Richtung aus der sie gekommen war und wie ein Tier hielt sie schnuppernd ihre Nase in die Luft. Die Luft war warm und Afra bildete sich ein, dass die Temperatur immer noch anstieg. Lediglich der beißende Geruch hatte abgenommen. Dafür war jetzt aber wieder der faulende Gestank stärker. Höchste Zeit hier weg zu kommen.
Afra richtete sich etwa in der Mitte der Höhle aus und ging vorsichtig weiter. Die Höhle wurde enger, das Geröll auf dem Boden nahm zu.
Plötzlich blieb Afra stehen. Vor ihr war etwas. In Gedanken ging Afra alles durch was es sein könnte. Was hatte sie gewarnt? Afra blieb ruhig stehen und horchte. Sie legte den Kopf schief und schaute mit ihren blinden Augen nach vorne als könnte sie so besser erfassen was da vor ihr war. Vorsichtig wie sie war traute sie sich jetzt nicht ein Steinchen zu werfen. Der Instinkt einer Jägerin sagte ihr, das da in greifbarer Nähe etwas war. Sie wägte ab ob ein Stein dieses Etwas nur traf oder aber auch ob ein Stein dieses Etwas erst böse machte. Das da vor ihr war groß und mächtig. Afra konnte sich nur einen einzigen Gegner dieser Größe vorstellen. „Ein Bär,“ dachte sie und schloss ihre Faust um den Griff ihres Messers.
Sie verhielt sich ganz ruhig und schnupperte. Es roch nicht nach einem Bär, außer den Geruch von faulenden Eiern konnte Afra überhaupt nichts riechen. Keine Bewegung war da. Fieberhaft schossen ihr die Gedanken durch den Kopf. Dann war ihr plötzlich klar. Ein Bär würde Hoffnung bedeuten. Wo ein Tier war gab es auch einen Ausgang in die Freiheit. Egal was da für ein Ungeheuer vor ihr war, diesen letzten Schritt würde sie sich von keinem Gegner mehr nehmen lassen. Aber würde ein Tier so ruhig sich verhalten wenn aus der Tiefe seiner Behausung Gefahr drohte? Dieser Feuerbrei der da hinten hochkochte und sich bald in den Höhlen ausbreiten wird bedeutete eine große Gefahr. Kein Tier würde sich so ruhig verhalten. Afra ließ ihr Messer wieder los und es baumelte vor ihrer Brust an der Schnur. Jetzt entschloss sie sich doch ein Steinchen zu werfen. Vorsichtig warf sie einen Stein. Nichts, der Stein fiel einfach nur auf den Boden. Noch ein Stein und noch einer. Der letzte Stein prallte von einer Wand ab und es klang nach einer Felswand.
Afra erschrak. Die Hände weit von sich gestreckt eilte sie nach vorne. Jede Vorsicht ließ sie außer Acht. Dann hatte sie Gewissheit. Die Höhle war hier zu Ende. Afra stand vor einer Felswand. Minutenlang stand sie da wie versteinert. Dann drehte sie sich um und blickte in die Richtung aus der sie gekommen war. Mit dem Rücken an der Felswand rutschte sie langsam zu Boden und setzte sich.
„Alles falsch gemacht,“ schimpfte sie, „jetzt bin ich gefangen um gebraten zu werden.“ Verzweifelt steckte sie den Kopf zwischen ihre Knie und versuchte sich das Ende vorzustellen. Sie stellte sich vor wie der heiße Brei langsam aber sicher hier in die Höhle floss und wie sie sich immer enger an die Felswand drückte, jede Sekunde dem Feuertod abzuringen.. „Nein,“ sagte sie laut und entschlossen.
„Die Feuergeister werden mich nicht lebend bekommen,“ sagte sie während sie langsam ihr Messer in die Hand nahm. Fast liebevoll nahm sie das Messer, streichelte mit einem Finger über die Klinge, fuhr dann fast zärtlich über den reich verzierten Griff. Als sie ihre Faust um den Griff schloss und sich überlegte wo sie den Schnitt ansetzen sollte sah sie noch einmal Kamaria wie sie ihr das Messer schenkte. Dieses Messer das einst Thora ihre Schwester führte. Die blinden Augen füllten sich mit Tränen. „Verzeih mir Thora,“ flüsterte sie und ihre Lippen zitterten. „Nicht mal einen Platz in der Ruhmeshalle habe ich mir verdient,“ blaffte sie sarkastisch. Dann ließ sie das Messer wieder sinken und hämmerte sich mit beiden Fäusten gegen die Augen.
„Diese verdammte Blindheit,“ schrie sie verzweifelt, „wenn ich doch nur sehen könnte.“ Afra war im Wechselbad der Gefühle. Verzweiflung und Entschlossenheit wechselten sich ab. Bilder schossen wieder durch ihren Kopf. Sie erinnerte sich plötzlich an ihre erste Begegnung mit den Amazonen. Sie lächelte bei dem Gedanken wie sie alle sich lustig machten und sie immer wieder baden wollten. Die Gesichter der Amazonen ließen sie nicht mehr los.
„Wahrscheinlich haben sie bereits meine Kleider gefunden bei den Felsen an der Pferdeweide und werden sich fragen was mit mir passiert sein könnte.“
Plötzlich hatte Afra einen Einfall. Sie stand auf und tastete die Wände entlang. „Vielleicht geht es ja doch weiter nur etwas weiter oben,“ dachte sie. Aber wo sie auch ihre Hände hin legte da war nur Stein. Afra klatschte mit den Händen gegen die Wand. Sie hüpfte hoch, so hoch sie konnte und tastete alles ab. Sie bückte sich um auch ja kein Loch in der Wand zu übersehen. Immer und immer wieder hüpfte sie an der Wand hoch und dann griffen ihre Hände auf einen kleinen Absatz.
Nur Fingerbreit war der Absatz aber sie stemmte sich hinein und zog sich nach oben. Der Absatz wurde breiter und Afra konnte einen Arm ausstrecken. Mit letzter Kraft zog sie sich vollends hoch und lag ausgepumpt in einer Felspalte. Hier wo sie lag war die Spalte etwa so breit, dass Afra liegen konnte. Zu ihren Füßen hin wurde der Absatz wieder schmal. Vorsichtig tastend rutschte Afra weiter nach vorne und der Absatz wurde langsam breiter. Afra konnte jetzt schon auf den Knien weitergehen. Ein frischer Luftzug kam ihr entgegen. Sie tastete um sich herum und erfühlte einen Durchgang der gerade groß genug war um bequem kriechend vorwärts zu kommen.
Afra ballte eine Faust: „Egal wo du hinführst du bist die Hoffnung.“ Vorsichtig kroch Afra wieder zurück bis die Spalte wieder ganz eng war und dann ließ sie sich wieder in die Höhle zurück gleiten. Wieder schürfte sie sich die Haut auf aber sie war jetzt so voller Freude, dass sie überhaupt nichts spürte. An der Stelle wo sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte löste sie das Messer von der Schnur und rammte es in den Boden um die Stelle wieder zu finden. Dann eilte sie zu ihrem Platz und sammelte die Decken und den Beutel ein. Zurück bei ihrem Messer warf sie ihre Sachen in einem Bogen nach oben. Erst beim dritten Versuch blieben die Decken oben liegen. Dann nahm sie wieder das Messer an sich und kletterte wieder nach oben.
Es war mühsam durch die kleine Öffnung zu rutschen aber die frische Luft die ihr entgegen kam gab ihr Kraft und sie verlangte ihrem Körper alles ab. Dann hatte sie den Durchgang passiert, der Absatz wurde wieder breiter. Beinahe wäre sie abgestürzt, denn der Raum auf der anderen Seite lag etwas weiter unten und Afra musste klettern. Ein Steinchen sagte ihr, dass es nicht sonderlich tief war aber Afra traute sich trotzdem nicht einfach zu springen. Sie rutschte, nachdem sie Ihre Decken nach unten geworfen hatte an der Wand nach unten. Dort schüttelte sie ihre Haare durch um den Dreck und Staub loszuwerden und blieb erst einmal minutenlang still stehen. Sie hätte schreien können vor Dankbarkeit und dieses Mal hüpfte ihr Herz auch vor Freude aber sie blieb einfach nur still stehen und zwang sich zur Ruhe. Sie wollte und musste schnell die neue Höhle innerlich erfassen. Die Luft war klar und Afra sog sie tief in ihre Lungen. So saubere Luft hatte sie seit sie hier abgesetzt wurde nicht mehr geatmet. Es musste eine größere Höhle sein. Jedes Fußscharren jede Bewegung war mit einem Hall zu hören. Wenn sie den Kopf drehte dann konnte sie ein regelmäßiges „Plop“ hören. Irgendwo tropfte Wasser. Jetzt wurde sie auch daran erinnert, dass sie schon eine Ewigkeit nichts mehr gegessen hatte und auch dringend Wasser brauchte. Sie fühlte sich kraftlos und müde. Um den Raum abzuschätzen warf sie wieder Steine in alle Richtungen. Die Höhle war hoch und ziemlich breit und nach einigen zögerlichen Schritten auf dem neuen Untergrund hatte Afra eine gute Vorstellung von der Örtlichkeit. Sie kam gut vorwärts und bald schon signalisierte ein Steinwurf, dass Wasser vor ihr war. Sie näherte sich mit der üblichen Vorsicht und lies sich am Wasserbeckenrand nieder. Sie schöpfte Wasser mit der Hand, beroch es und leckte mit der Zunge vorsichtig über die Hand. Das war reines und gutes Wasser was sie da gefunden hatte Und Afra trank wie ein Tier auf allen Vieren so viel sie konnte. Erschöpft müde und ausgelaugt ließ sie sich auf ihre Decken fallen und murmelte ein Gebet der Dankbarkeit.
Das Zischen und Fauchen bemerkte sie einen Lidschlag zu spät. Instinktiv, und zielsicher fuhr sie gedankenschnell herum und griff zu. Es mutete schon unheimlich an wie eine blinde Frau nur durch die Ortung des Geräusches sich zur Wehr setzen konnte. In ihrer Faust hatte sie eine etwa zwei Finger dicke Schlange. Ihre Abwehr kam aber zu spät. Ein stechender Schmerz am Oberarm signalisierten ihr, dass die Schlange hatte zubeißen können. Afra hielt den Kopf der Schlange in der Faust und drückte zu bis der Schlangenkörper nicht mehr zappelte. Dann erst untersuchte sie die Schlange. Nach Gewicht und Länge und dem sehr länglichen Kopf musste es eine dieser kleineren Schlangen sein die Afra schon oft gejagt hatte um an ihr Gift zu kommen. Ein Nervengift das schnell wirkte und Lähmungen verursachte. Nach Afras Wissen war das Gift nicht tödlich bei größeren Tieren und sie selbst hatte solche Bisse schon oft überlebt. Voller Zorn packte sie den Schlangenkörper und riss ihn auseinander. Die beiden Teile warf sie jeweils in entgegengesetzter Richtung weit von sich weg. Unglücklicher Weise war der Biss so weit hinten am Oberarm dass Afra sich das Gift nicht aussaugen konnte. Abbinden war auch nicht möglich und die aufkommende Übelkeit war auch ein Zeichen, dass das Gift schon weit im Körper seine Wirkung zeigte. Afras Magen rebellierte aber da war ja nichts außer Wasser was sie erbrechen konnte. Jetzt käme jede Hilfe so wie so zu spät und Afra konnte nur hoffen, dass sie auch dieses Mal überleben würde. Mit letzter Kraft trank sie noch einmal so viel Wasser wie sie konnte und dann legte sie sich auf den Rücken und wartete auf die Lähmung. Ihr Körper wurde von Hitzewallungen und Krämpfen durchgeschüttelt. Ihr Puls raste aber Afra konnte bereits jetzt nicht mehr ihre Arme bewegen um sich Linderung zu verschaffen. Sie lag nur noch da und wartete mit zuckendem Körper auf die Bewusstlosigkeit.
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Das Ritual Empty Re: Das Ritual

Beitrag von SandyLee Di Jan 26, 2021 1:53 pm

Donnerstag 14. Juli 2011, 14:40
von Afra
Du bist reinen Herzens


Langsam, unendlich langsam formten sich Gedanken in Afras Kopf. Afra spürte, dass sie aufwachte. Um sie herum war es dunkel und so sehr sie sich auch anstrengte sie konnte ihre Augenlider nicht öffnen. Afra konnte spüren wie sich der Augapfel bewegte aber sie konnte nicht ihre Augen öffnen. Sie wollte sich mit den Händen über das Gesicht fahren aber ihre Arme gehorchten ihr nicht. So nach und nach kam ihr Geist in die Wirklichkeit zurück. Sie begriff, dass sie blind war weil sie ihr Augenlicht durch das Ritual verloren hatte. Es spielte also keine Rolle ob sie ihre Augen öffnen konnte oder nicht. Aber warum konnte sie sich nicht bewegen? Afra hatte zunächst keine Erklärung für ihre Körperstarre. Sie sandte Signale an ihre Gliedmaßen, sie brauchte unbedingt ihre Hände. Sie wollte sich über das Gesicht fahren weil dort ständig Staub auf sie herab rieselte und nur durch heftiges Ausblasen der Luft durch die Nase hielt sie ihre Atemwege frei. Die unheimliche Stille um sie herum machte ihr Angst. Ihr Gehör war taub und nichts von den Geräuschen in ihrer Umgebung drang in ihr Gehirn. Afra glaubte ein sanftes Rütteln in ihrem Körper zu spüren.
„Ich bin tot,“ dachte sie, „ich bin jetzt doch gestorben. Warum bestraft mich Pallas oder ist das nur eine weitere Prüfung bis ich in den Garten der Kriegerinnen darf? Die Priester lügen doch nicht“
Sie fing an sich zu erinnern wie sie dem Vulkan entkommen war. so nach und nach bekam sie klarere Bilder in den Kopf. Das Rütteln an ihrem Körper wurde stärker und in ihrem Nacken spürte sie ein leichtes Kribbeln. Feine Nadelstiche breiteten sich dort aus und wanderten langsam über den Hinterkopf in ihren Schädel. Die Schmerzen im Kopf wurden heftiger und auf beiden Ohren hatte sie einen seltsamen Druck. Immer noch blies sie die Luft durch die Nase und ein Kitzeln über ihren Augen wollte sie abschütteln. Der Kopf bewegte sich nicht und das Kitzeln wanderte krabbelnd über ihre Gesicht.
Sie hatte einen kleinen Höhlensee durchquert und der Vulkan hat seinen heißen Brei nach oben geschickt. Afra hatte immer deutlicher die Bilder vor Augen. Der Schmerz in ihrem Kopf wurde unerträglich und Afra hätte laut aufgeschrien wenn sie ihren Mund hätte öffnen können. Der Schmerz breitete sich vom Kopf weiter aus und sie fühlte ein heftiges Stechen in der Brust. Hitze durchflutete ihren Körper. Stoßweise kam die Hitze tief aus ihrem Inneren und es war als würden millionen von Ameisen über ihren Körper laufen.
„Wenn man tot ist hat man keine Schmerzen haben die Priester gesagt,“ schoss es durch ihren Kopf und plötzlich erinnerte sie sich wie sie dem heißen Brei entkommen war. Sie hatte einen Durchgang zu einer weiteren Höhle gefunden.
„Wasser,“ dachte sie, „ich habe doch Wasser gefunden.“ Afra erinnerte sich wie sie sehr viel Wasser getrunken hatte und plötzlich hatte sie ein Bild von sich vor Augen wie sie eine Schlange in ihrer Hand zerquetschte. Jetzt hatte sie wieder ihre Erinnerungen. Plötzlich konnte sie klar denken und sie fühlte auch wie Sand auf sie herab rieselte.
„Gift, dieses verdammte Gift,“ nur ein siegessicheres Grunzen kam aus ihr heraus. Mehr brachte sie nicht zustande, mehr ließ ihre Lähmung nicht zu. Afra grunzte vor sich hin. „Ich habe es überlebt!“
Sie hatte bereits als Jägerin diese Erfahrung machen müssen. Sie wusste dass die Lähmung nachlassen würde und sie erinnerte sich auch wie ihr Körper schmerzen würde wenn sie wieder die volle Beweglichkeit erlangen würde. Afra bereitete sich darauf vor. Unerklärlich für sie aber war immer noch dieses Rütteln an ihrem Körper. Ein stetiges Rüttel und Schütteln. Nicht heftig aber sehr wohl wahrnehmbar. Sie versuchte dafür Erklärungen zu finden wurde aber abgelenkt. Etwas lief über ihr Gesicht und das reflexartige Zucken ihrer Arme verursachte weitere Schmerzen. Sie glaubte zu spüren wie sie die Finger bewegen konnte aber es war ihr immer noch nicht möglich ihre Gliedmaßen auch zu gebrauchen. Das Kribbeln im Körper hatte zugenommen. Sie spürte die Hitze in sich und der Druck in ihren Ohren wurde langsam schwächer. Sehr gedämpft, so als käme das Brummen von sehr weit her drang ein Geräusch an ihr Ohr das sie sich nicht erklären konnte. Afra versuchte sich zu bewegen. Sie hatte einen unbändigen Willen sich zu bewegen. Es gelang ihr den Kopf auf die Seite zu drehen so dass der Staub nicht mehr unmittelbar auf ihr Gesicht fiel.
Das Ohr näher an der Erde hörte sie das Brummen deutlicher.
Es war mehr ein Grummeln und Grollen. Plötzlich konnte Afra die Geräusche zuordnen. Die Erde zitterte und das war es auch was ihren Körper durchschüttelte. Das Zittern der Erde, das Grollen aus der Tiefe, der rieselnde Staub. „Ein Erdbeben!“ sagte sie erschrocken und erschrak mehr über den Klang ihrer Stimme als über die Tatsache dass sie diesem Beben noch hilflos ausgeliefert war. Instinktiv wollte sie aufspringen aber mehr als ein kraftloses Zucken in den Armen und Beinen erreichte sie nicht. Afra zeigte einen unbändigen Willen sich zu bewegen. Sie konzentrierte sich voll und ganz nur auf einen einzigen Gedanken. „Ich muss aufstehen …. ich muss aufstehen …,“ hämmerte sie sich in den Kopf. Ihre Halsschlagadern drohten vor Anstrengung zu zerplatzen und mit einem lauten Schmerzensschrei richtete sie ihren Oberkörper auf und saß dann mit wankendem Oberkörper fast aufrecht auf ihrer Decke. Als sie sich mit ihren Armen abstützen wollte und die Arme ihren Dienst verweigerten sackte sie wieder nach hinten auf den Rücken. Immer und immer wieder versuchte sie es. Nach und nach ließ das Kribbeln in den Armen und Beinen nach. Ihre Kraft kehrte zurück und sie zwang sich mit großer Anstrengung auf die Knie. Afras Atem ging schnell und keuchend und sie ruhte sich ein wenig aus. Sie musste sich zur Ruhe zwingen. Die Erde bebte immer noch. Es war kein heftiges Beben aber ein ständiges Grummeln und Zittern.
„Ein Beben dauert niemals so lange,“ dachte Afra und das war ein Zeichen, dass ihre Gedanken wieder völlig klar waren. Sie dachte jetzt an den Vulkan und glaubte fest daran, dass der Vulkan bald ausbrechen werde. Entweder er bahnte sich einen Weg nach oben, wie auch immer, oder hier unten würde es eine alles vernichtende Explosion geben. Trotz dieser Umstände zwang sich Afra zu einer Pause. Im Geiste bereitete sich die erfahrene Jägerin auch darauf vor dass sie trotz großer Schmerzen schnellstens ihre Gelenke wieder aktivieren musste.
Afra versuchte regelmäßig zu atmen. Tiefe Atemzüge um die aufkommende Panik zu besiegen. Im Geiste zählte sie hoch solange bis sie beim Einatmen genau so lange brauchte wie beim Ausatmen. Dann noch einmal tief einatmen und mit einem Ruck stand sie auf den Beinen. Afra wankte, ihre Beine zitterten und ein höllischer, stechender Schmerz durchzuckte sie am ganzen Körper. Alte Wunden brannten fürchterlich als die Krusten aufbrachen und Afra spürte wie es warm an ihrem Bauch herunterlief. Sie betastete ihren Körper und beroch ihre Finger. Es roch nach Blut und ein eiteriger Gestank kam ihr in die Nase.
Mit zittrigen Beinen stakste sie ein paar Schritte und spürte wie die Kraft langsam zurück kam. Als sie sich schütteln wollte um den ganzen Dreck der auf sie gefallen war abzuschütteln konnte sie nur mühsam verhindern, dass sie einfach umfiel. Wankend und zittrig lief sie im Kreis. Besorgt hob sie immer wieder den Kopf und schnupperte wie ein angeschossenes Tier in die Richtung wo sie die Gefahr vermutete. Die Erde unter ihren Füßen schütterte und sie vernahm auch deutlich das rieseln der Steinchen an den Höhlenwänden. Die Luft war deutlich wärmer als noch vor ihrem langen tiefen Schlaf aber noch nicht so bedrohlich warm wie in der letzten Höhle. Tapfer lief sie im Kreis um ihre volle Muskelkraft wieder zu erlangen. Erst als sie sich wieder sicher auf den Beinen fühlte und sie ihre Arme wieder strecken konnte ging sie zurück zu ihren Decken und kroch dann vorwärts zu dem Wasserbecken. Sie rutschte in das Becken bis ihr das Wasser am Hals stand, tauchte unter und schüttelte sich kräftig unter Wasser. Es war ein Gefühl von neuem Leben. Das Wasser kühlte ihre Haut und die Kühle drang langsam in ihren Körper. Sie spürte wie die Lebensgeister zurückkehrten. Als ihr der Atem ausging tauchte sie auf und wusch ihr Gesicht. Erst jetzt öffnete sie ihre Augen die sie die ganze Zeit zum Schutze vor dem Dreck geschlossen gehalten hatte. Die Dunkelheit ließ nur einen kurzen Moment der Resignation aufkommen. Afra hatte in ihrem Leben gelernt sich mit ihrem Schicksal abzufinden und als sie ihre lange Mähne durch das Wasser schüttelte befreite sie sich auch von jeder aufkommenden Resignation. Noch einmal trank sie so viel Wasser wie sie konnte und unterdrückte damit auch ihren Hunger. Nachdem sie aus dem Becken geklettert war warf sie ihre Decken in das Wasser und tränkte sie ordentlich. Sie Schnitt einen größeren Fetzen von den Decken.
„Sehr viel bleibt mir nicht mehr,“ dachte sie. Von den ursprünglich drei Decken hatte sie nur noch eine die unversehrt war und noch einen Restlappen. Das frisch geschnittene Teil wollte sie als Wegmarkierung nutzen. Afra hatte vor sich um die Höhle herum zu tasten. An den Wänden entlang damit ihr kein Durchgang mehr entgehen würde. Noch einmal hielt sie ihre Nase in die Luft und schaute besorgt in die Richtung aus der sie gestern gekommen war. Dort rumpelte es. Sie konnte hören wie heiße Luft aus der Erde geblasen wurde. Das Zischen klang bedrohlich und Afra beeilte sich jetzt von hier weg zu kommen. Entschlossen warf sie die nasse Decke über ihre Schulter und hängte sich ihren Steinbeutel um den Hals. Dann marschierte sie direkt auf die Höhlenwand zu. Sehr sicher war sie und nichts deutete auch nur ansatzweise darauf hin, dass hier eine blinde Frau lief. Genau eine Armlänge vor der Wand blieb sie stehen, verharrte kurz und streckt dann ihrem Arm aus. „Ja, ja,“ sagte sie halblaut und ballte eine Faust als ihre Hand die Wand berührte. Jetzt legte sie den Lappen ab den sie vorhin zurechtgeschnitten hatte und lief mit der Hand an der Wand weiter. Sollte sie bei dieser Wanderung ohne Ergebnis wieder auf diesen Lappen stoßen, dann hatte sie ein Problem. Aber daran dachte Afra jetzt überhaupt nicht. Wie lange Afra sich so vortastete konnte sie selbst nicht sagen. Die Wände hatte sich verändert. Die sandige von lockerem Stein durchsetzte Höhlenwand war in massiven Stein übergegangen. Der Stein war feucht, an manchen Stellen sogar so feucht, dass Afra mit ihrer Hand in Wasser patschen konnte. Sie spürte auch die Nässe am Boden. Ihre von Wolllappen umwickelten Füße waren nass. Nur kurz waren die Pausen, die Afra einlegte. Dabei leckte sie mit der Zunge über den Stein um Wasser aufzunehmen. Das Wasser war gut. Etwas sandig aber das störte nicht weiter. Nach einer Zeit, die Afra unendlich lang vorkam stießen ihre Füße an eine Bodenplatte. Afra streifte mit ihren Füßen über die Platte. Sie war ungewöhnlich glatt und an ihrem Absatz ungewöhnlich gleichmäßig hoch. Gleichzeitig griff sie mit ihrer Hand ins Leer. Die Felswand hatte hier ein Loch. Afra dachte nach. Sie bückte sich um das Hindernis mit den Händen zu untersuchen. Da war eine Platte aus Stein die sich deutlich vom Boden abhob. Die Oberfläche war glatt, teilweise moosig bewachsen und die Kanten waren so scharf und gleichmäßig dass Afra fest überzeugt davon war, dass diese Platte nicht natürlichen Ursprungs war. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken.
„Hier waren Menschen,“ murmelte sie erst zaghaft doch dann wiederholte sie immer wieder, „Menschen, hier haben Menschen gearbeitet.“ Afra war ganz aus dem Häuschen. Wenn es eine Bodenplatte war die von Menschenhand geschaffen worden war, dann gab es auch einen Zugang hier her. Afra untersuchte jetzt hastig die Stelle wo ihre Hand ins Leere gegriffen hatte. In der Wand war eine Öffnung. Etwa drei Schritte in der Breite und Afra musste den Kopf einziehen um sich in die Öffnung zu stellen. Hinter der Platte lag Geröll, lockeres Gestein und der Boden stieg leicht an. Afra ließ sich auf die Knie fallen und schickte dankbare Gebete zu Pallas. Sie war überzeugt, dass sie einen Ausgang gefunden hatte. Sie küsste die Bodenplatte und raffte sich dann auf. In fiebriger Eile stolperte sie in die Höhlenöffnung. Zwischen all den Steinen fand sie immer wieder auch andere Platten. Teilweise zerbrochen und nur noch Reste davon. Hier war schon seit langer, langer Zeit niemand mehr gewesen. Die unruhige Erde hier musste den Weg verschoben haben oder auch die Platten zerbrochen haben. Afra hatte das Gefühl als würde sie in einer Spirale langsam nach oben steigen. Dann stutzte sie plötzlich wieder. Sie sah im Geiste ein Hindernis. Da vorne, wenige Schritte vor ihr war etwas.
Vorsichtig ging Afra näher und ertastete eine glatte Wand aus Eisen. Sie hämmerte mit der Faust dagegen. Eine mächtige Eisenplatte versperrte ihr den Weg. Fieberhaft untersuchte sie die Platte vor ihr aber sie konnte keinen Anhaltspunkt dafür finden, dass sie diese Platte bewegen konnte. Kein Griff oder Spalte wo ihre Hände Halt finden konnten. Vor der eisernen Platte war ein schmaler Absatz einer zerbrochenen Steinplatte. Sie Schwang sich hoch und setzte sich. Mit dem Rücken an das Tor gelehnt dachte sie nach. Afra war überzeugt davon dass die eiserne Platte ein Tor war und zwar ein Tor in die Freiheit. Als sie mit der Faust dagegen gehämmert hatte spürte sie auch, wie stark diese Eisenplatte sein musste. Sie hatte keinen Hohlraum dahinter wahrgenommen. Das Tor musste also von einer enormen Stärke sein oder dahinter war wirklich nichts und das alles war nur ein weiteres fieses Spiel der Götter um sie zu testen. Afra ließ sich nicht entmutigen. Jetzt wo sie Anzeichen einer Zivilisation entdeckt hatte jetzt war sie nur noch Jägerin, jetzt brachte sie nichts mehr von ihrem Weg ab. Vergessen waren die Schmerzen in ihrem Körper die sie bei jeder Bewegung, bei jedem Schritt spürte. Das Rumpeln und Grummel war weit weg. Nur manchmal noch rollte eine Art Donner durch das Höhlenlabyrinth. Afra saß da und baumelte mit ihren Füßen. Sie überlegte und stellte Vergleiche an. Solche ähnliche Tore gab es auch im Hort der Götter. Da musste sie ihre Hand an eine bestimmte Stelle legen um sie zu öffnen. Auf ihren vielen Wanderung durch fremde Jagdgebiete hatte sie manchmal schon Eingänge in Felsen entdeckt die durch einen geheimen Stein zu öffnen waren. Mitten in ihren Überlegungen hatte sie plötzlich eine Eingebung. Wenn sie hier so saß und ihre Füße baumeln lassen konnte dann, ja dann hatte sie viel zu tief an dem Eisentor herumgetastet. Wie von der Tarantel gestochen hüpfte Afra auf und stellte sich auf die abgebrochene Steinplatte.
Es dauerte nicht lange und Afra fand was sie suchte. Da war ein schwerer eiserner Griff. Afra traute sich fast nicht den Griff zu packen und nach unten zu drücken. „Hoffentlich, „ betete sie, „hoffentlich kann ich das Tor öffnen.“ Dann drückte sie den Griff nach unten. Das Eisen knirschte und Afra musste alle Kraft aufwenden um die Klinke vollends nach unten zu drücken. Sie zog und stemmte sich mit ihren Füßen seitlich an die Wand. Langsam und mit einem lauten Knirschen bewegte sich das Tor. Afra zog das Tor soweit auf bis sie sich seitlich durchzwängen konnte. Dann war sie in einem anderen Raum. Sie sog die Luft ein und schnupperte. Keine Anzeichen dafür, dass sie in Freiheit war. Die Luft war stickig. Modriger Geruch stieg ihr in die Nase. Afra legte den Kopf schräg und drehte sich im Kreis. Sie glaubte in einem Raum zu sein, eine Art Keller. Sie ging seitlich zu der Begrenzung und ertastete eine Wand. Glatte Flächen die, wenn sie weiter ging in einer scharfen Kante in eine andere Wand überging. Solche Ecken findet man nur in Räumen die von Menschen gemacht wurden. Afra tastete sich einmal rund herum und fand dann in der Mitte des Raumes eine Treppe. Sie prüfte mit den Füßen die Stufen und kletterte dann vorsichtig Stufe für Stufe die Treppe hoch. Ihr Kopf stieß an eine Decke aber die Stufen waren nicht zu Ende. Afra bückte sich und drückte mit den Schultern gegen die Decke. Mit einem lauten Krachen gab die Decke nach und Dreck fiel auf Afra.
Mit einem Satz war sie aus dem Loch in der Decke gesprungen und verharrte in der Hocke. Sofort überschlugen sich ihre Empfindungen. Sie fühlte Wind. Ein kühler Wind strich um ihre Haut. Eine Symphonie von Geräuschen drang an ihr Ohr. Sie hörte das Rauschen von Bäumen. Sie hörte die Schreie von Vögeln. Es waren Nachtvögel die da schrien also musste es jetzt mitten in der Nacht sein.
„Großartig,“ dachte sie, „das hört sich großartig an.“ Gerade als sie einen jubelnden Schrei in die Nacht schicken wollte alarmierte sie etwas. Blitzschnell hatte sie das Messer, das vor ihrer Brust baumelte in der Hand und schnellte herum. Bereit ihre gewonnen Freiheit sofort zu verteidigen drehte sie sich in der Hocke und machte einen Satz vorwärts. Wer ihr jetzt die Freiheit verweigern wollte musste sterben. Den Kopf schräg in den Nacken gelegt versuchte sie die Gefahr zu erfassen und irgend eine Bewegung wahrzunehmen. Afra konnte nichts mehr wahr nehmen. Sie ließ sich aber nicht täuschen. Die Warnung in ihrem Kopf war eindeutig gewesen und sie wusste auch wo ihr Gegner sich befand. Sie überlegte ob sie einen Angriff starten sollte oder doch besser abwartete bis sich das Unbekannte bewegte.
„Steck dein Messer weg,“ sagte eine Stimme sanft aber bestimmt und jemand kam auf Afra zu.
„Kamaria,“ flüsterte Afra denn sie hatte die Stimme erkannt.
„Kamaria, … Kamaria.“ Afra fiel weinend auf die Knie und umklammerte die Beine der alten Frau. In Afra löste sich die ganze Anspannung der letzten Tage. Vielleicht waren es auch Wochen. Kamaria zu treffen war der endgültige Beweis dafür, dass sie das Ritual leben überstanden hatte. Die alte Frau ließ Afra heulen und wartete geduldig. Sie streichelte Afras Kopf und erst als sie sicher war, dass Afra sich etwas beruhigt hatte zog sie Afra hoch und umarmte sie.
„Du hast es geschafft, du verrücktes Weib hast es doch tatsächlich geschafft. Als ich die Erde beben spürte und der Vulkan dort drüben am Fluss ausgebrochen war, hatte ich dich schon aufgegeben. Du verrücktes Weib, du hast es geschafft.“ Afra schluchzte und die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie tastete mit ihren Händen über Kamarias Gesicht und brachte keinen vernünftigen Ton heraus.
„Beruhige dich Afra, beruhige dich,“ Kamaria drückte Afra an sich, zog den Kopf der großen Frau zu sich herunter und küsste ihre Tränen vom Gesicht.
„Du bist jetzt eine der ganz großen in diesem Land. Niemand wird das leisten können wozu du imstande bist. Du wirst allen überlegen sein, denn du denkst und siehst mit deinen Sinnen. Du bist jetzt eine Tharhat.“ Kamaria machte eine bedeutungsvolle Pause.
„Hörst du Afra, du bist eine Tharhat!“
Als Afra nur stumm nickte fuhr Kamaria fort: „Gäbe es dein Volk noch dann würden sich sogar Könige vor dir verbeugen, die Hunde würden sich verkriechen wenn sie deine Schritte näher kommen hören. Jede und jeder aus deinem Volk würde dir mit Respekt begegnen und es wär eine Ehre dich einmal im Haus als Gast begrüßen zu dürfen. Verstehst du das?“
Afra konnte immer noch nichts darauf sagen.
„Eine Tharhat bist du Afra, die größte Ehre die einer Kriegerin widerfahren kann. Komm mit mir ich habe auf dich gewartet und etwas vorbereitet. Du siehst erbärmlich aus.“
„Wo sind wir hier?“ stotterte Afra.
„Was glaubst du? Schau dich um Afra, wo bist du?“
Afra löste sich von Kamaria und hielt ihre Nase in den Wind. Sie spürte den leichten Fallwind der immer aus den Bergen herunter wehte. Das Geschrei der Vögel aus dem nahem Wald drang an ihr Ohr.
„Wir sind am Fuße des Gebirges,“ sagte Afra mit Bestimmtheit und als Kamaria nicht antwortete sinnierte sie laut vor sich hin.
„Wir sind an der Hütte der alten Jana, da vorne steht der einzige dichte Laubbaum und dort der kahle abgestorbene Baum auf dem sich immer die Eulen absetzen.“ Afra war sich absolut sicher und erwartete die Bestätigung von Kamaria.
„Du bist gut Afra, sehr gut, ich glaube nicht dass jemand so genau seinen Standort bestimmen könnte ohne zu sehen. Du bist eine echte Tharhat aber komm jetzt.“ Kamaria zog Afra mit sich in das Gebirge und hinter dem Platz wo Loreena die Waldamazone zu campieren pflegte und wo das Wasser aus dem Berg quoll und sich seicht über die Wiesen schlängelte dort sagte Kamaria dass Afra sich in den Bach legen sollte.
Kamaria wusch Afra und säuberte ihre Wunden.
„Ich habe dir ein frisches Gewand mitgebracht. Es wird Zeit, dass du der Welt zeigst dass du eine erwachsene Kriegerin geworden bist.“
„Was ist mit meinen Augen?“, Afra fragte es zögerlich und hatte Angst vor der Antwort.
„Schließe deine Augen Afra, du wirst bald wieder sehen können.“
Afra gab einen erleichterten Seufzer von sich.
„Wenn du deine Augen öffnest wirst du merken wie sich vor dir alles erhellt. Sei vorsichtig und erschrecke nicht. Ich habe dir noch ein zweites Kleiderbündel mitgebracht. Es ist die Kleidung der Tharhat. Trage sie mit stolz.“
Afra genoss es hier zu liegen, das kühle Wasser umspülte sie und in diesem Moment wäre sie die glücklichste Frau auf dieser Welt gewesen wenn sie nicht sorgenvoll an ihre Amazonenfreunde gedacht hätte.
„Werden sie mich noch als Afra akzeptieren?“
„Wer? Wen meinst du?“
„Meine Freunde, die Amazonen, werden sie mit mir noch unbekümmert umgehen können?“
„Finde es heraus Afra, Ich wäre jedenfalls stolz darauf eine solche Kriegerin zu kennen und als Freundin zu haben. Finde es heraus.“
Als Afra schwieg und ihren Gedanken nachhing erklärte Kamaria, dass Afra sich ausruhen sollte und dort in der verlassenen Hütte hätte sie genug Ruhe.
„Dort findest du alles was du brauchst. Decken zum Schlafen, genügend Fleisch um deinen Hunger zu stillen und einen heilenden Brei für deine Wunden. Erhole dich und bringe deinen Geist zu Ruhe bevor du zu deinen Freunden gehst.“
Afra öffnete langsam ihre Augen und ihr Herz hüpfte vor Freude als sie schemenhaft die Gestalt Kamarias vor sich sah. Nach und nach wurde ihr Blick klarer und Afra drückte die Kamarias Hand. Die aber legte einen Finger auf Afras Lippen: “Psst … ich weiß was du sagen willst. Es bedarf keiner Worte. Ich bin stolz auf meine kleine Afra und ich werde noch viel stolzer sein. Denn niemand ist so rein im Herzen wie du.“
Ohne weitere Worte stand Kamaria auf und verschwand in der Dunkelheit. Zurück blieb eine nachdenkliche Afra.
„Niemand ist so rein im Herzen wie du …,“wiederholte sie während sie aufstand und mit ihren Kleiderbündeln in der Hütte verschwand.
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